Das Problem, das dieser Schrankenantrieb löst, ist das folgende:
Bevor sich die Schrankenbäume senken, muss für eine gewisse Zeit (die "Vorläutedauer") die Schlagglocke des Schrankens läuten. Erst dann dürfen sich die Schrankenbäume senken.Nun könnte man dieses Problem dadurch lösen, dass man zwei Antriebe, mit zwei Schrankenkurbeln vorsieht: Zuerst bedient der Schrankenwärter eine Zeitlang den "Läuteantrieb", dann erst den "Baumantrieb". Das hat aber viele Nachteile, darunter:
- Es gibt keine erzwungene Vorläutezeit.
- Der Aufwand für die Drahtzugleitungen verdoppelt sich.
- Die Schrankenkurbel bewegt über die Drahtzugleitung das Vorläuterad, das zuerst nur die Glocke betätigt.
- Nach etwa einer halben bis eineinhalb Umdrehungen dieses Vorläuterads wird über das "Kleeblatt" das Schrankenrad dazugekuppelt und senkt nun die Schrankenbäume.
Kleeblattantrieb, Fels, Juni 2012
Man sieht ganz offensichtlich, dass am Ende der Vorläutedauer sich "irgendwas dreht", und dann gehen die Schrankenbäume herunter. Aber wieso dreht sich dieses Ding gerade dann, und was tut es?
Der Aufbau des Antriebs
Hier ist zuerst einmal ein altes Bild aus der Röll'schen Enzyklopädie, das den Antrieb zeigt (Quelle: http://www.zeno.org – Zenodot Verlagsgesellschaft mbH):
Wirklich schlau wird man daraus nicht, wenn man nicht schon weiß, wie das alles funktioniert. Also schauen wir uns den Antrieb genauer an. Dazu markieren wir zuerst am folgenden Bild seine wichtigen Teile:
- Das Vorläuterad, das direkt von der Schrankenkurbel (oder einem Elektroantrieb) her bewegt wird, ist grün markiert.
- Das Schrankenrad ist rötlich markiert; es ist fest mit der Kurbelwelle im Vordergrund verbunden, die den Schrankenbaum bewegt. Zusätzlich wird es noch von einer Kette umschlungen, die unter dem Gleis hindurchgeht und den gegenüberliegenden Schrankenbaum antreibt.
- Auf dem Schrankenrad sitzt das rot markierte drehbare Sperrstück.
- Der Verriegelungskranz (der Rand der Verriegelungsscheibe) ist blau markiert.
Kleeblattantrieb, Fels, Juni 2012
Hier ist dasselbe Bild noch einmal ohne Farbmarkierungen, damit man sieht, wie diese Teile in der Realität aussehen:
Kleeblattantrieb, Fels, Juni 2012
Allerdings sieht man auf diesen Bildern das zentrale Teil des Antriebs nicht, nämlich das namensgebende "Kleeblatt". Dazu habe ich eine Animation gebaut, die den Zusammenbau der wichtigen Antriebsteile zeigt. In dieser Animation (und auch den folgenden) habe ich viele Teile weggelassen:
- Oberhalb des (grünen) Vorläuterads fehlt die Mechanik zum Läuten.
- Am (orangen) Schrankenrad ist nur ein kurzes Stück der Kurbel angedeutet, die den Schrankenbaum bewegt; der Schrankenbaum ist gar nicht gezeigt (er stört nur :-)).
- Alle festen Teile des Antriebs mit Ausnahme des Verriegelungskranzes und zweier Anschläge sind weggelassen. Den oberen Anschlag gibt es in Wirklichkeit so nicht – stattdessen wirkt hier auch der untere Anschlag über die Stange, die den Schrankenbaum hebt (siehe die Bilder oben); zum Erklären geht es so aber leichter.
- Außerdem habe ich das Schrankenrad "halb durchsichtig" gezeichnet – man sieht daher dahinter auch die Bewegungen des Mitnehmerzapfens und des Kleeblatts.
Die blauen runden Teile am Ende des Verriegelungskranzes sind zwei kleine Räder, die einerseits die Bewegung des Sperrstückes erleichtern, andererseits aber auch das Sperrstück bei langen Vorläutedauern festhalten – dazu später mehr.
Damit dieses Bild klarer wird, bauen wir den Antrieb nun der Reihe nach zusammen ⇒ bitte die Animation abspielen.
Das folgende Bild zeigt den Antrieb nocheinmal von der Seite gesehen. Man sieht, wie die einzelnen Teile im Antrieb angeordnet sind:
Der Schranken geht zu
Nun wird es spannend: Wir kurbeln den Schranken zu. Über die Drahtzugleitung wird das Vorläuterad gleichmäßig bewegt ... ⇒ Bitte die Animation starten.
Ist das nicht elegant? Hier noch einmal das ganze zum Mitlesen (wenn man mit der Pause-Taste die Animation immer wieder anhält und weiterlaufen lässt, kann man sich die Vorgänge im Detail ansehen):
- Während des Vorläutens dreht sich nur das Vorläuterad. Das Sperrstück greift unter das rechte Rad am Verriegelungskranz, sodass sich das Schrankenrad nicht drehen kann.
- Wenn der Mitnehmerzapfen ins Kleeblatt eingreift, wird dieses samt dem Sperrstück verdreht.
- Nach etwa einer Viertelumdrehung schlägt das Sperrstück oben auf den Verriegelungskranz auf, sodass sich das Kleeblatt nicht mehr weiterdrehen kann.
- Der im Kleeblatt "gefangene" Mitnehmerzapfen nimmt nun über das Kleeblatt das Schrankenrad mit ⇒ der Schranken schließt sich.
- Nach einer halben Umdrehung schlägt die Kurbel am linken Anschlag an. Zugleich behindert nun der Verriegelungskranz das Sperrstück nicht mehr, sodass sich dieses samt Kleeblatt – angeschoben vom Mitnehmerzapfen – hinter den Verriegelungskranz einzudrehen beginnt.
- Der Mitnehmerzapfen wandert aus dem Kleeblatt heraus und bewegt sich noch ein kleines Stück, bevor er zum Stillstand kommt.
Wie groß ist die Vorläutedauer bei diesem Ablauf? Das Vorläuterad hat 28 Vorläutezähne, und die Glocke schlägt ungefähr jede Sekunde. Eine Umdrehung des Vorläuterades dauert ganz grob 30 Sekunden (am Video von Fels sind es etwa 32 Sekunden). In der Animation oben läuft das Vorläuterad ungefähr eine halbe Umdrehung, bis es über das Kleeblatt den Schrankenbaum mitnimmt. Diese halbe Umdrehung entspricht also einer Vorläutedauer von etwa 16 Sekunden. Wenn man das Vorläuterad weiter vorne beginnen lässt, dann wird die Vorläutedauer entsprechend länger: Wenn der Mitnehmerbolzen zu Beginn zum Beispiel ganz oben steht, vergeht etwa eine Dreiviertelumdrehung bis zum Senken der Schrankenbäume, also etwa 24 Sekunden (32 · 3/4).
Langes Vorläuten
Man kann aber noch viel länger vorläuten lassen – und das geht so: Man stellt das Kleeblatt in der Grundstellung eine Drittel-Umdrehung weiter nach links! Die folgende Animation zeigt, was dann geschieht:
Was ist diesmal passiert?
- Wieder dreht sich zuerst nur das Vorläuterad (und läutet vor).
- Wenn sein Mitnehmerzapfen das Kleeblatt erreicht, wird dieses mitgedreht.
- Doch diesmal dreht es sich ohne Behinderung um eine Drittelumdrehung und lässt den Mitnehmerzapfen dann wieder frei! Das Schrankenrad bewegt sich bei dieser Aktion überhaupt nicht.
- Danach steht das Kleeblatt samt Sperrstück so, wie wir es in der ersten Animation gesehen haben.
- Das Vorläuterad dreht sich nun weiter, bis der Mitnehmerzapfen nach einer vollen Umdrehung ein weiteres Mal ins Kleeblatt läuft und nun den Schranken schließt.
Dieser Bewegungsablauf ermöglicht es, dass das Vorläuterad annähernd zwei volle Umdrehungen machen kann, bevor es den Schrankenbaum zu schließen beginnt. Damit erreicht man also technisch eine Vorläutedauer von etwa 60 Sekunden! Wegen dieser zwei Umdrehungen ist es auch nicht möglich, nur aus der Stellung des Mitnehmerzapfens auf die Vorläutedauer zu schließen: Dazu muss man auch noch die Stellung des Sperrstückes wissen.
Zwangsführung
Eine letzte Eigenschaft dieses Antriebs ist noch wichtig: In praktisch allen mechanischen sicherungstechnischen Einrichtungen müssen die Einzelteile zwangsgeführt sein. Was bedeutet das? Es reicht nicht, ein mechanisches Teil in die gewünschte Position zu bringen – es muss auch sichergestellt sein, dass es dort bleibt. Sehen wir uns an diesem Antrieb an, wie das erreicht wird.
In der Grundstellung haben wir folgende "Zwänge":
- Das Vorläuterad wird über die Drahtzugleitung festgehalten.
- Das Kleeblatt wird über die Verdrehsicherung in der Mitte des Vorläuterades festgehalten (das C-förmige Stück) – nur dafür ist diese Sicherung vorhanden!
- Das Schrankenrad wird an der Bewegung nach links durch das Sperrstück gehindert, das am rechten Rad vor dem Verriegelungskranz ansteht; in der Grundstellung für das lange Vorläuten erkennt man, dass der Kranz alleine zu schmal wäre, um das Sperrstück an der Bewegung nach oben zu hindern! Nur das größere Rad verhindert hier diese Bewegung.
- Das Schrankenrad wird an der Bewegung nach rechts durch die Schrankenbaum-Kurbel gehindert, die am Anschlag aufsitzt.
Dieselben Zwänge sind auch während des Vorläutens wirksam. Wenn sich allerdings das Kleeblatt drehen soll (entweder um eine Drittel-Umdrehung bei langem Vorläuten; oder beim Ausdrehen aus dem Verriegelungskranz oder beim Eindrehen in diesen), dann lässt dies ein Ausschnitt an der Verdrehsicherung zu, der sich genau gegenüber dem Mitnehmerzapfen befindet (bitte dazu noch einmal die Animationen ansehen!).
In der Schließstellung schließlich wirken folgende Zwänge:
- Das Vorläuterad wird weiterhin über die Drahtzugleitung festgehalten.
- Das Kleeblatt wird wieder über die Verdrehsicherung in der Mitte des Vorläuterades festgehalten. Wenn man sich das aber im Detail am nächsten Bild ansieht, erkennt man, dass das Kleeblatt nur am Zurückdrehen gehindert wird; es könnte sich aber ein Stück weiter drehen! Das scheint aber problemlos zu sein, weil der beim Schrankenöffnen zurücklaufende Mitnehmer das Kleeblatt "sich dann wieder richtig hindreht". Jedoch haben wir hier eine Situation gefunden, wo ein Teil des Antriebs nicht vollständig zwangsgeführt ist.
- Das Schrankenrad wird an der Bewegung nach links durch das Anschlagen der Schrankenbaum-Kurbel am linken Anschlag gehindert; und an der Bewegung zurück durch das Sperrstück, das am linken Rad unter dem Verriegelungskranz ansteht.
Ist das nicht eine wunderbare mechanische Konstruktion?!
Jetzt fehlt eigentlich nur noch eine Erklärung des "anderen Endes", nämlich des Kurbelantriebs – der ja sicherstellen muss, dass der Schrankenwärter immer gleichmäßig die Kurbel dreht (damit die Vorläutedauer eingehalten wird), und dass er beim Öffnen des Schrankens immer die ganze Vorläutebewegung zurückkurbelt (ebenfalls, damit beim nächsten Schließen die volle Vorläutedauer eingehalten wird). Doch das ist eine andere Geschichte ... vielleicht komme ich einmal dazu, diese Mechanik auch darzustellen.
Ergänzung: Wer sich dafür interessiert, wie ich die Animationen erstellt habe, kann das hier, hier und hier nachlesen. Zu der Frage im letzten Kommentar wegen des Nicht-Läutens beim Öffnen habe ich nun eine animierte Antwort erstellt!
Danke für die Mühe, die Sie sich gemacht haben, damit auch ein Laie die Funktion eines Schrankenantriebs nachvollziehen kann. Die Animationen sind ein Genuß - schöner gehts fast nicht!
AntwortenLöschenSelbst als Eisenbahner habe ich mir - wie wohl auch die meisten Kollegen - keine großen Gedanken über das Zusammenwirken der Einzelteile gemacht und einfach zur Kenntnis genommen, daß das eben so funktioniert. Und bei Störungen mußten ohnehin der Signalmeister bzw. der Werkführer eingreifen.
Besten Dank für's Lob - es macht mir aber natürlich auch Vergnügen, solchen "verborgenen mechanischen Schönheiten" nachzugehen und sie möglichst zu enträtseln!
LöschenDer Vorläuteapparat läutet ja nur beim Schließen und nicht beim Öffnen. Welcher Mechanismus greift da, dass die Glocke beim Öffnen nicht bimmelt?
AntwortenLöschenEs gibt höchstens einen Läuter, bevor der Schranken sich zu öffnen beginnt, wenn die Klöppel beim Schließen nicht in der Grundstellung stehengeblieben sind. Da fallen sie nämlich in die Grundstellung zurück. Manchmal gibt es auch einen Läuter, unmittelbar dann, wenn sich die Bäume gehoben haben, und sich das Sperrstück wieder löst und die Antriebsscheibe wieder allein sich weiterdreht. Warum ist das so?
Ich habe nun in einem neuen Posting noch ein paar Animationen zusammengestellt, die zeigen, wie das Läuten beim Kleeblatt-Vorläutewerk funktioniert. Das sollte Deine Fragen beantworten.
LöschenVielen herzlichen Dank für diese tolle Erklärung! Mechanische Schranken faszinieren mich schon seit meiner Kindheit!
AntwortenLöschenEine Frage, auf die ich bis heute aber noch keine Antwort habe: Wer schon einmal eine mechanische Schranke geschloßen und geöffnet hat, wird festgestellt haben, dass sich die Übersetzung von Schlieskurbel und Schranke nicht gleicht. Der Schrankenbaum "läuft nach". Wie genau geht denn das von statten?
Gerne.
LöschenIhre Frage, muss ich gestehen, verstehe ich nicht ganz: Dass der Schrankenbaum erst (viel) später - nach dem Vorläuten - schließt, ist ja eben die Funktion des Kleeblattantriebs.
Dass er "zäh" anläuft und auch noch ein wenig nachläuft, hat mit der Spannung der Drahtzüge zu tun: Die sind ja nicht ganz straff gespannt (sonst wäre die Reibung an den Rollenständern viel zu groß), sondern hängen etwas durch; wenn man loskurbelt, dann spannt man zuerst den Zugdraht an (und entspannt den Nachlassdraht), dann beginnt sich erst die Kettenrolle am Schranken zu drehen. Und wenn man zu drehen aufhört, dann gleicht sich die Spannung im ziehenden und im gezogenen Draht wieder etwas aus, was die Kettenrolle noch ein wenig nachdrehen lässt. Das ganze ist also ein etwas "weiches" System (das bei größerer Länge auch zu Schwingungen neigt).
Wenn die Kurbel den Schranken direkt - ohne dazwischenliegende Drahtzüge - bewegt (wie etwa hier am vorvorletzten Bild), dann läuft m.W. nichts "nach".
Ist es das, was Sie gemeint haben?
H.M.
Hallo Harald!
LöschenJa, das ist genau das, was ich gemeint habe! Konnte mir bißher, auch die "alten Hasen", nicht wirklich einleuchtend erklären! Also ist es doch so banal, dass es "nur" mit der Spannung der Seilzüge zusammenhängt...
Vielen herzlichen Dank für die Antwort und den ganzen Blog hier - SEHR interessant! :)