Seiten

Montag, 18. November 2013

Epping-Ongar Railway, 2013 - Stellwerk in North Weald

English version of this posting

In diesem und ein paar weiteren Postings will ich Bilder unseres Englandurlaubs 2013 zeigen – natürlich vor allem Signale und Stellwerke, aber auch zu anderen Eisenbahnthemen.

Über das signalbox.org-Forum hatte ich eine ganze Liste von Besuchszielen in der Nähe unseres Aufenthalts im Norden von London bekommen, wo ich dann überall auch nette und sachverständige Leute fand, die sich auch für Stellwerke interessieren. Im folgenden zeigen ich nicht nur Bilder, sondern versuche auch die englischen Sicherungsanlagen und ihre Konzepte zu erklären. Da ich aber dort noch weniger Fachmann bin als in Mitteleuropa, bitte ich eventuelle Fehler zu verzeihen (und mir im Fall des Falles eine Korrektur zu schicken).

Als erstes habe ich die Epping-Ongar Railway knapp nördlich von London besucht.

Hier sieht man das Stellwerk in North Weald, das gegenüber dem Bahnhofsgebäude am Bahnsteig 1 steht:

Stellwerk, North Weald, 19.8.2013

Stellwerk, North Weald, 19.8.2013

Im Stellwerk steht eine Saxby&Farmer-Anlage in leuchtenden Farben.

Der Verschubsignal-Hebel 17 hat eine interessante Beschriftung: Wenn man dieses Signal Richtung durchgehendes Hauptgleis freistellt, dann muss die Weiche 14 umgestellt sein, während für eine Verschubfahrt zu den Abstellgleisen die Weiche 16 umgestellt sein muss. Für eine Fahrt ins Ausweichgleis jedoch können alle Weichenhebel in der Grundstellung stehen, was mit dem (ursprünglich lateinischen Wort) "nil" beschrieben ist.
Vielleicht sind hier einige Anmerkungen zu englischen Sicherungsanlagen angebracht: In England und anderen angelsächischen Ländern wurden auch Verschubfahrten immer schon signalgesichert abgewickelt – eigentlich gibt es gar keinen prinzipiellen Unterschied zwischen Zug- und Verschubfahrten, und daher auch keinen zwischen Haupt- und Verschubsignalen. Die "Kaskadenlogik" hat bei englischen Stellwerken schon um 1860 dazu geführt, dass auch die Signale für Fahrten im Bahnhof – was bei uns Verschubsignale wären – in Abhängigkeit zu den notwendigen Weichen stehen. Daher hat auch dieses kleine Stellwerk einerseits vier Weichenhebel (und einen vierten für die Freigabe einer ortsbedienten Weiche), andererseits aber 13 Signalhebel! Einige weitere Grundlagen englischer Anlagen werde ich in weiteren Postings beschreiben – für einen wirklichen Überblick muss man sich aber in die entsprechende Literatur einlesen.

Wie üblich sind die Hebel für Lichtsignale gegenüber denen für Formsignale etwas gekürzt. Allerdings hat North Weald auch elektrische Weichenantriebe (elektro-hydraulisch, wenn ich das richtig gesehen habe), die entsprechenden Hebel haben aber die langen Hebelgriffe behalten, was sehr unüblich ist:

Hebelbank, oben Signalanzeigen, North Weald, 19.8.2013

Hier ist der Beweis, dass es sich um eine Saxby&Farmer-Anlage handelt:

Hebelbankdetail, North Weald, 19.8.2013

Die Anzeigetafel zeigt die Gleisanlage des Bahnhofs. Das Verschubsignal 17 ("up calling signal") ist unterhalb des inneren Einfahrsignals 20 ("up inner home") angebracht, am Ende des Gleisstromkreises "LN". Die Besetztanzeige des Ausweichgleises ("loop") zeigt an, dass dieses Gleis besetzt ist, wie auch das Stumpfgleis ("bay") beim Bahnsteig 3. Dort steht die Dampflok 4141, die sich vor den Zug im Ausweichgleis setzen soll und dafür im Zickzack durch den Bahnhof fahren wird:

Anzeigetafel, North Weald, 19.8.2013

Kurz später setzt sich die 4141 in Bewegung. Die Weichen 5a und 5b werden mit dem Hebel 5 umgestellt und das innere Ausfahrsignal des Stumpfgleises ("up bay starter" – es entspricht grob einem deutschen Sperrsignal oder einem österreichischen Schutzsignal) wird freigestellt:

Hebelbank, North Weald, 19.8.2013

Auf der Ostseite des Bahnhofs ist die Weiche 14 schon für die Durchfahrt am Hauptgleis umgestellt.
Im Gegensatz zu mitteleuropäischen Anlagen ist die Grundstellung der Weichen in einem englischen Bahnhof mit Ausweichgleis immer so, dass das jeweils linke Gleis erreicht wird. Auch auf eingleisigen Strecken sind also die zwei Gleise und ihre Außenbahnsteige (Inselbahnsteige kommen praktisch nicht vor) einer Richtung zugeordnet. Sie haben daher die Bezeichnungen "up" und "down" für die Fahrtrichtungen zugeordnet, wie hier "up loop" und "down main". "Up" ist dabei immer die Richtung nach London, "down" von London weg.

Hebelbank, North Weald, 19.8.2013

Auf der Ostseite bewegt sich aber noch nichts:

Blick aus dem Stellwerk nach Osten, North Weald, 19.8.2013

Über die Dächer der Wagen sieht man aber das freistehende Signal und eine kleine Dampfwolke, wo sich die 4141 in Bewegung setzt:

4141 bewegt sich, North Weald, 19.8.2013

Kurz später schließen ihre Achsen den Gleisstromkreis DN am durchgehenden Gleis kurz, und die entsprechenden Lampen auf der Anzeigetafel leuchten auf (im Stumpfgleis steht ein Wagen, sodass die Anzeige dort nicht ausgeht).
Englische Sicherungsanlagen, auch rein mechanische, haben schon sehr früh Besetztanzeigen über Gleisstromkreise erhalten. Dazu beigetragen haben unter anderem die häufigen Mittelstellwerke, dann der oft auftretende Nebel (es gibt sogar eigene "fog repeater" = "Signalwiederholer für Nebel"!), darüberhinaus aber auch der extrem dichte Verkehr auf den Bahnen um London.

4141 fährt aufs Streckengleis, North Weald, 19.8.2013

Auf der gegenüberliegenden Seite steht das Signal am durchgehenden Gleis ("down main starter") schon auf Frei. Sein Stelldraht ist etwas zu lang gelassen, so dass der Arm etwas zögerlich die Freistellung anzeigt:

"Down main starter" steht auf Frei für 4141, North Weald, 19.8.2013

Und hier rollt die 4141 das Hauptgleis herunter:

4141 ist unterwegs, North Weald, 19.8.2013

Kurz darauf hat sie die Weiche 14 erreicht und den Gleisstromkreis KN belegt:

4141 belegt KN, North Weald, 19.8.2013

Der Stellwerker muss allerdings warten, bis die Lok hinter dem Verschubsignal 17 ("up calling signal") steht, bevor er die Weiche umstellen kann – jetzt ist es soweit:

4141 belegt LN, Weiche 14 kann in die Grundstellung gestellt werden, North Weald, 19.8.2013

Signal 17 kann nun ins Ausweichgleis freigestellt werden:



Und kurz darauf setzt sich die 4141 vor ihren Zug:

4141 an ihrem Zug, North Weald, 19.8.2013

Im Stellwerk durfte ich einen Blick unter die Bodenbretter werfen. Unter den Abdeckungen befinden sich die Schieberkästen ("locking beds") – hier sind zwei vorhanden, den oberen sieht man nur ein wenig unter den Brettern hervorstehen. Zwei Hebel sind umgestellt, und ihre Verschlusseisen ("tappets") sind durch die Verschlusskästen durchgeschoben:

Hebelbank und Schieberkästen, North Weald, 19.8.2013

Hier sieht man die zwei Verschlusseisen des umgestellten Weichenhebels 14. Im unteren Eisen ist deutlich ein Ausschnitt zu erkennen, aber die Geheimnisse der Verschlussmechanik sind im Verschlusskasten verborgen. Ein paar Postings weiter werde ich ein wenig erklären, wie diese Mechanik funktioniert:

Umgestellter Weichenhebel und Verschlusseisen, North Weald, 19.8.2013

Hier sieht man noch einmal die beiden Verschlusseisen. Das obere besteht offenbar aus zwei Teilen. Der Grund dafür ist vermutlich eine Logik, die der österreichischen "Nachtsperre" entspricht, d.h. die Möglichkeit, Weichen und Signale für das durchgehende Hauptgleis zu verschließen und dadurch das Stellwerk in verkehrsschwachen Zeiten außer Betrieb zu nehmen – sicher bin ich mir hier aber nicht. Ganz oben im Bild sieht man einige Relais für die Steuerung der Weichenantriebe und der Lichtsignale:

Verschlusskasten, North Weald, 19.8.2013

Hier sieht man die Verschlusseisen des umgestellten Hebels 21, mit einer größeren Anzahl von Ausschnitten. Das deutet darauf hin, dass es sich hier um einen Signalhebel handelt, der in der Haltstellung von mehreren anderen Hebeln verschlossen wird. Ein Blick auf den Gleisplan (oder die Beschriftung am Hebel) bestätigt das: Dies ist der Hebel des Einfahrsignals ("up outer home"), das hier für einen Zug aus Ongar freigestellt ist:

Verschlusseisen des Hebels 21, North Weald, 19.8.2013

Und hier kommt der dieselbespannte Zug. Ein Stellwerker ist zum Übergang marschiert, um dort den "Staff" (tatsächlich einen Schlüssel für ein Signalschloss) entgegenzunehmen – in der Führerstandstür der Diesellok sieht man den Lokführer stehen. An der 4141 werden derweil Lager der Stephensonsteuerung geölt:

Staff-Übergabe und Ölen, North Weald, 19.8.2013

Kurz darauf bringt der Stellwerker den "Staff" zum Stellwerk:

Der "Staff" wird gebracht, North Weald, 19.8.2013

Hier sieht man den "Königshebel" ("king lever"). Er wird für die oben erwähnte Nachtsperre verwendet, indem in zwei Schritten Weichen und Signale für das durchgehende Gleis gestellt und verschlossen werden (vielleicht finde ich einmal Zeit, das genauer zu erklären):

"King lever" und ein paar weitere Hebel, North Weald, 19.8.2013

Die Epping-Ongar-Railway besitzt ein paar Tyer-Blockinstrumente, die in den Stellwerken aufgestellt sind. Allerdings sind sie noch nicht in Betrieb, stattdessen wird der oben gezeigten Schlüssel verwendet. Das schränkt allerdings die Verschubmöglichkeiten in Ongar ziemlich stark ein, weil dort einige Weichen und Signale nur bei vorhandenem Staff entsperrt werden können. Daher ist geplant, die Tyer-Instrumente in Betrieb zu nehmen:

Tyer-Blockinstrument, North Weald, 19.8.2013

Eine genaue Uhr ist auch notwendig für den Bahnbetrieb. In North Weald hängt diese Acht-Tages-Uhr mit Federaufzug:

Uhr, North Weald, 19.8.2013

In North Weald steht eine schön sichtbare Fußgängerüberführung über die beiden Hauptgleise – allerdings ist sie noch nicht mit Stiegen und Böden versehen! Daher müssen die Fußgänger den schienengleichen Übergang benützen, der neben zwei kleinen Toren auch große Tore für Wagen hat. Weil diese Tore in den Lichtraum der Gleise schwingen, müssen sie verschlossen sein, wenn Signale freigestellt werden. Hier sieht man die dafür nötigen Schlösser, die mit den Hebeln elektrisch verriegelt sind:

Übergangsschlösse und Signalanzeiger, North Weald, 19.8.2013

Zuletzt gibt es am Stellwerk auch noch ein Höhendiagramm der ganzen Linie, das diese neumodischen "Kilometer" verwendet und nicht, wie sich das für eine richtige englische Eisenbahn gehört, Meilen und "chains" (eine "chain" ist ca. 20 Meter). Man sieht, dass der Bahnhof in North Weald das einzige waagrechte Stück der ganzen Strecke ist!

Höhenprofil, North Weald, 19.8.2013

Soweit einmal ein erstes von drei Postings über die EOR. Zwei weitere werden bald folgen!

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen