Ergänzung Dez.2012: Aufnahmen des Stellwerks (vor einem Abtransport?) hat "sollwert80" hier im EBFÖ gepostet.
Ergänzung Feb.2013: Und hier im EBFÖ hat "sollwert80" einige weitere historische Bilder von Stadtbahnstellwerken gepostet.
Die Sicherungsanlagen der Stadtbahn waren von derselben Type, die bei der Berliner Hoch- und Untergrundbahn eingesetzt waren. Die Geschichte dieser Anlagen ist an und für sich schon hochinteressant. Informationen dazu finden sich an folgenden Stellen:
- Auf den "Berliner Verkehrsseiten", insbesondere auf der Seite "Die selbsttätigen Signalanlagen" sowie auf Seiten über Stellwerke, z.B. das Stellwerk Leinestraße. Auf einer dieser Seiten findet sich für die Siemens-Sicherungsanlagen die Typenbezeichnung "VES 1913" (nicht 1912!), die ich allerdings sonst nirgends gefunden habe. Jedenfalls sieht man, dass diese Anlagen nahe verwandt mit der Bauart 42733 sind, die in Österreich ja dann von Siemens ziemlich häufig gebaut wurde.
- In dem Buch "Die selbsttätige Signalanlage der Berliner Hoch- und Untergrundbahn nebst einigen Vorläufern" von Gustav Kemmann aus dem Jahr 1921, das Artikel von ihm aus den Jahren 1916 bis 1920 zusammenfasst. Darin beschreibt er die Anlagen, die auf seine Veranlassung hin durch die englische (Tochter-)Firma Westinghouse errichtet wurden. Im wesentlichen wird darin der Stand von ca. 1915 beschrieben. Der Text des Buches ist online bei books.google.com verfügbar, allerdings ist es leider gar nicht "sorgfältig gescannt", wie Google behauptet, weil sämtliche Tafeln im Anhang nicht gescannt wurden – dort befinden sich aber wesentliche Zeichnungen. Die "...einigen Vorläufer" sind übrigens Anlagen der Londoner und der New Yorker U-Bahn; von der ersteren gibt es hier viele Fotos der alten Anlagen.
- In dem Buch "Die selbsttätige Signalanlage der Berliner Hoch- und Untergrundbahn" von Alfred Bothe aus dem Jahr 1928. Bothe war Oberingenieur der Berliner Hoch- und Untergrundbahn und beschreibt in dem Buch im wesentlichen die Siemens-Anlagen, die nach dem ersten Weltkrieg nach und nach die Westinghouse-Anlagen ersetzten. Dieses Buch ist meines Wissens nicht online verfügbar. In dem Exemplar, das ich mir an der Müncher TU ausgeborgt habe, sieht man, dass ca. zwei Drittel des Buches aus den gefalteten Tafeln mit Zeichnungen und Schaltplänen bestehen – ein Einscannen nur des Textteils wäre daher Unsinn.
Interessant ist zum Beispiel der Einsatz von Stellwerken aus dem englisch-amerikanischen Bereich in Deutschland, wo sich ja schon grundsätzliche Ansichten über Signalanlagen unterschieden. Auch Details zeigen unerwartete Lösungen – so war bei Westinghouse die Anschaltung der Signallampen "kontaktlos": Das jeweilige Leuchten der grünen bzw. roten Signallampen wurde über zwei trickreich geschaltete Induktivitäten auf einem Eisenkern (kein Transformator im üblichen Sinn!) und einen Eisendraht-Widerstand mit positiven Widerstandskoeffizienten bewirkt – siehe S.63 bis 66 des Kemmann'schen Buches. Interessant (auch im Hinblick auf einen Unfall, den ich in Kürze beschreiben werde) sind auch die Wechselstrom-Gleisstromkreise, die anfangs mit 60Hz betrieben wurden, um von den 40Hz(!) des Hochspannungs-Versorgungsnetzes weit genug weg zu liegen.Aber nun genug von der Berliner Hoch- und Untergrundbahn – zurück zur Wiener Stadtbahn!
Obwohl die Hebelwerke dieser Anlagen wie jene der Type 42733 (wie in Meidling oder Salzburg) aussehen, gab es eine ganze Reihe von Unterschieden. Ich zähle hier einmal einige auf:
- Die Weichen wurden mit Gleichstrom betrieben (während die BBÖ schon mit Wechselstromantrieben experimentierte).
- Es gab keine Fahrscheibenüberwachung. Nur die Weichenhebel hatten je eine blaue Plus- und Minuslampe, die bei der jeweiligen Endstellung leuchtete.
- Die Schalterwerke waren vollständig mit Holz verkleidet. Im Hager steht dazu auf S.133 "Diese Schalterwerke hatten wegen des elektrischen Betriebes eine Holzverkleidung". Allerdings schreibt Alfred Bothe im oben genannten Buch auf S.72: "Wenn bei den Hebelwerken der Berliner Hoch- und Untergrundbahn von der allgemein gebräuchlichen Eisenblechverkleidung abgewichen wurde, so geschah dies, weil die Hochbahngesellschaft auf eine freundliche Ausgestaltung des gesamten Stellwerks Wert legte." – und er muss es als Oberingenieur dieser Gesellschaft ja eigentlich wissen.
- In den Schaltungen wurden (wie im angloamerikanischen Raum üblich) Schwerkraftrelais verwendet – ein wenig Erklärung dazu folgt unten.
- Die Anzeige von freien Gleisen erfolgte durch leuchtende Gleisausleuchtungen. Das hat den technischen Vorteil, dass ausgefallene Anzeigelampen ein besetztes Gleis vorgaukeln.
Stellwerk Michelbeuern, WStW-VB, 28.2.1986
Über der Anlage hing noch eine ältere "Fahrschautafel" (wie Kemmann das nennt), die allerdings keine Signal- und Gleisanzeigen mehr besaß. Auch hier sieht man einen Teil der neuen Anzeigetafel – weitere Fotos davon folgen weiter unten:
Stellwerk Michelbeuern, WStW-VB, 28.2.1986
Das folgende Bild zeigt die Hebel auf der rechten Seite des Stellwerks.
Umlegen oder "Ziehen" eines "Umleithebels", wie hier sichtbar, schaltet den automatischen Betrieb ein (siehe auf der erwähnten Seite über selbsttätige Signalanlagen der Berliner U-Bahn unter der Zeichnung zum Siemens-Einreihenstellwerk). Bei Bothe steht auf S.70:
"Im Hebelwerk sind die Stellhebel der leichten Erkennbarkeit wegen mit farbigen Köpfen versehen, und zwar kennzeichnet rote Farbe den Signalhebel, blaue Farbe den Weichenhebel und grün den Umleithebel. Die Ausführung dieser Hebel ist von der Siemens & Halske, Blockwerk A.-G., erstmalig für die Berliner Hoch- und Untergrundbahn erfolgt".Allerdings schreibt Kemmann schon zehn Jahre vorher in seinen Aufsätzen bei der Erklärung der Westinghouse-Schaltungen von diesen Hebeltypen und erwähnt auch explizit und mehrmals die "Umleithebel", sodass sich Bothes Text nur auf die spezielle Form und/oder Farbe der Siemens-Hebel beziehen kann.
Die Bezeichnung "Umleithebel" ist übrigens nach meiner Meinung eine Kemmann'sche Übersetzung des Wortes "bypass" in den englischen Anlagen, was man besser mit "Überbrückung" (der manuellen Schalter – wodurch der Automatikbetrieb eingeschaltet wurde) hätte bezeichnen sollen. Die Hebel hätten also "Überbrückungshebel" heißen sollen – allerdings hatte Kemmann die Herkulesaufgabe, für ein vollkommen neues technisches System deutsche Begriffe erfinden zu müssen; und viele davon, wie "Nachrücksignal" oder "Fahrsperre", sind gute Bezeichnungen und sind ganz selbstverständlich in den deutschen technischen Sprachgebrauch übernommen worden, also will ich beim "Umleithebel" nachsichtig sein:
Stellwerk Michelbeuern, WStW-VB, 28.2.1986
Hier sind dieselben Hebel noch einmal sichtbar, und außerdem links eine wunderschöne Einlegearbeit des Firmensymbols von Siemens & Halske:
Stellwerk Michelbeuern, WStW-VB, 28.2.1986
Links daneben befinden sich die Weichenschalter, die jeweils ein Weichenpaar umstellen. Die blauen Lampen oben zeigen die Endstellung an: Ein Plus oben die Plusstellung, ein Minus unten die Minusstellung. Detaillierter sieht man das bei den Aufnahmen der Abzweigung Nußdorferstraße, die ich nächstens posten werde.
Klein ist hier in der Mitte ein Schild "1405 – Siemens & Halske – Blockwerk" sichtbar – 1405 ist vermutlich die Fabriknummer:
Stellwerk Michelbeuern, WStW-VB, 28.2.1986
Ganz links sind schließlich weitere (Fahrstraßen-)Signal-Hebel vorhanden, für die Signale auf der Seite Alser Straße:
Stellwerk Michelbeuern, WStW-VB, 28.2.1986
In den Holzschränken hinter dem Schalterwerk waren die Gleisrelais für jene Gleisstromkreise angeordnet, die in der Nähe des Stellwerks lagen:
Schaltschränke, Stellwerk Michelbeuern, WStW-VB, 28.2.1986
Auf meinen Aufnahmen sieht man zwei verschiedene Typen von Relais: Die einen waren "Motorschalter", in denen ein relativ schwacher Motor über ein kleines Zahnrad einen Viertelzahnkranz antrieb, der kohlebestückte Kontakte schloss. Diese Relais (oder "Schalter", wie er sagt) beschreibt Bothe detailliert in seinem Buch auf den Seiten 17 bis 19. Der "Motor" wurde nicht endabgeschaltet, sondern lag bei freiem Gleis ständig an der Wechselspannung des Gleisstromkreises und "lief" sozusagen "am Anschlag". Wenn die Wechselspannung bei einer Gleisbesetzung durch die Überbrückung der Fahrschienen wegfiel, drehte ein Gegengewicht die Kontaktbrücke und damit den Motor in die Ruhelage zurück. Die Relais waren also Schwerkraftrelais oder, nach der modernen Bezeichnung, vom "Typ N".
Das folgende Bild zeigt unten ein solches Relais in "angezogener" Stellung (das Stellwerk war ja noch in Betrieb!), also bei freiem Gleis:
- Links ist der Zahnkranz sichtbar,
- darüber eine Abdeckung des Motorritzels,
- und rechts daneben die fünf Kontakte des Relais.
Motor-Gleisrelais, Stellwerk Michelbeuern, WStW-VB, 28.2.1986
In Michelbeuern ist auch noch eine andere Type von Relais eingebaut, die sehr ähnlich aussehen: Auch bei ihnen wird über ein kleines Ritzel ein Zahnkranz angetrieben, der eine Kontaktbrücke mit Kohlekontakten bewegt. Allerdings ist die Kontaktbrücke hier viel schmäler – mit Platz für nur zwei (oder drei?) Kontakte; und außerdem wird hier als Antrieb nach meinem Verständnis nicht ein Motor verwendet, sondern ein Scheibenläufer (in dem oben erwähnten Buch beschreibt Kemmann übrigens auf den Seiten 43 und 44 ein Wirbelstromrelais der New Yorker Untergrundbahn, das wohl so ähnlich funktioniert). Wieso in Michelbeuern zwei verschiedene Typen von Wechselstromrelais verwendet wurden, weiß ich nicht – die beiden Typen sind übrigens schon auf dem Werksbild von Siemens von 1925 im Hager auf S.135 sichtbar, also Teil der originalen Schaltungen. Da das Stellwerk museal erhalten wird, sollte es möglich sein, den Grund für diese verschiedenen Bauarten herauszufinden. Vielleicht nehme ich mir einmal Zeit und löchere jemand vom Wiener Straßenbahnmuseum ...
(Wirbelstrom?-)Gleisrelais?, Stellwerk Michelbeuern, WStW-VB, 28.2.1986
In den Schaltschränken waren auch Sicherungshalter eingebaut:
Sicherungen, Michelbeuern, WStW-VB, 28.2.1986
Zur Hilfsauflösung der Fahrstraßen waren eigene Schalter vorgesehen. Allerdings befinden sich auf dem folgenden Foto noch weitere Bauelemente, deren Zweck ich nicht weiß (ein weiterer Grund, in Wien nachzufragen ...):
- Was sind "Widerstände für BEFS."?
- Darunter sind meiner Meinung nach die plombierten Hilfsauflösungen.
- Darunter ist allerdings eine weitere Reihe plombierter Tasten(?) – wofür?
- Eine Reihe von Sicherungen folgt.
- Und ganz unten sehen wir noch einmal plombierte Tasten (oder Sicherungen?) für die Weichenpaare – sind das Auffahrsicherungen?
Hilfsauflösungen und weitere Bauelemente, Stellwerk Michelbeuern, WStW-VB, 28.2.1986
Auf dem alten Schalterwerk war ein Anzeigepult aus neuen Siemens-Feldern aufgesetzt. Die Anzeigelogik blieb aber dieselbe: Freie Gleise werden mit Leuchtstreifen angezeigt, besetzte Gleise (von denen wir hier keines sehen) durch verlöschte Leuchtstreifen (Kemmann beschreibt auf S.21 diese Anzeigelogik für die Signaltafeln der Londoner "Tube"). Die blauen Lampen sind Verschubsignale in der Stellung "Verschubverbot":
Anzeigetafel, Stw., Michelbeuern, WStW-VB, 28.2.1986
Das grün leuchtenden Signal 158 auf dem vorherigen Bild sowie das grüne Signal 161 ganz links unten auf dem folgenden Bild sind Blocksignale, die immer vollautomatisch gestellt wurden. Das obere grüne Signal 904 ist manuell auf frei gestellt, wie man auf vorherigen Bildern sieht. Das Signal 908 ist hier als dunkles Symbol am untersten Gleis (Gleis I) erkennbar; am Stellwerk gibt es auf dieses Signal eine Fahrstraße "vom Gleis 1 nach Michelbeuern", mit der ein Zug rückwärts eingezogen werden konnte – ich weiß aber nicht, ob das Signal damals noch in Betrieb war:
Anzeigetafel, Stw., Michelbeuern, WStW-VB, 28.2.1986
Vom Stellwerk aus hat man einen guten Blick zu einigen der Abstellanlagen:
WVB 6150, Michelbeuern, WStW-VB, 28.2.1986
Und hier noch ein Blick auf das Äußere des Stellwerks:
Stellwerk Michelbeuern, WStW-VB, 28.2.1986
Von Michelbeuern sind wir dann zur Abzweigung Nußdorferstraße weitergefahren.
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