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Montag, 14. Januar 2013

Der Haken-Spitzenverschluss - eine Sonntagsbastelei aus Büroklammern

In Mitteleuropa haben Weichen üblicherweise außenliegende auffahrbare Spitzenverschlüsse. Das rührt daher, dass im Verband Deutscher Eisenbahnverwaltungen vorgeschrieben war, dass Weichen auffahrbar zu sein hatten, zugleich mussten aber bei der Fahrt gegen die Spitze die Weichenzungen sicher an den Backenschienen gehalten werden. Nach dem enorm verschleißanfälligen Pedalverschluss war der Hakenverschluss eine der ersten Konstruktionen, die die Forderung nach Auffahrbarkeit und zuverlässigem Festhalten der Zungenschienen erfüllte. Er war lange der Standardverschluss sowohl in Preußen als auch in Österreich und wurde erst in den dreißiger Jahren durch den Klammerverschluss abgelöst. In vielen Weichen hat sich der Hakenverschluss aber bis heute erhalten. Hier ist ein Beispiel für eine solche Weiche:


An dieser Weiche lassen sich schön die drei Phasen bei der Umstellung von Weichen mit Spitzenverschluss demonstrieren:
  • Zuerst klinkt bei der anliegenden Zunge der Weichenverschluss aus; die gegenüberliegende abliegende Zunge bewegt sich schon ein Stück Richtung Backenschiene.
  • Dann bewegen sich beide Zungen parallel bis zum Anliegen der bisher abliegenden Zunge an der Backenschiene.
  • Zum Schluss klinkt dort der Weichenverschluss ein, während sich die nun abliegende Zunge weiter von ihrer Backenschiene entfernt.


Weil man aber an dieser echten Weiche doch nicht alle Details sieht, wollte ich wieder eine Animation zusammenstellen, die die Funktionsweise dieses Spitzenverschlusses zeigt. Nach dem Zeichnen der ersten Diagramme ist mir dann aber eine Handvoll Büroklammern in die Hände gefallen, und da dachte ich ... wieso nicht einmal so? Herausgekommen ist ein etwas wackeliges Modell, an dem man aber zumindest einige wichtige Eigenschaften demonstrieren kann. Wer will, kann ja selber mit Laubsäge und Kombizange was Schöneres auf die Beine stellen!

Die Weiche


Die Weiche besteht in meinem Modell aus vier geraden Holzstäbchen:


Eigentlich sieht man in diesem Modell die Weiche von unten, denn ich werde die Einzelteile des Spitzenverschlusses ja auf diesen Holzstäbchen montieren. Als Zungen sehe ich Federzungen vor – Fichtenholz federt, wenn man es genügend dünn fräst, tatsächlich wunderbar. Auf den so erzeugten Backen- und Zungenschienen habe ich mit schwarzem Filzstift die Lage der "Fahrkanten", also der Innenseiten der Fahrschienen markiert. Das folgende Video zeigt den Zusammenbau der Weiche.


Ein simpler Weichenantrieb


Bevor ich den Hakenverschluss zusammenbiege, schauen wir uns zuerst einmal einen simplen Weichenantrieb an, wo die zwei Zungen durch eine starre Stange verbunden sind.


Das Klaffen der Zungen kann man leider auch nicht durch eine große Kraft (z.B. ein großes Gewicht) am Weichenantrieb verhindern: Bei der Darüberfahrt eines Zuges wirken kurzfristig so große Schlagkräfte, dass ein Kraftschluss nicht zuverlässig aufrecht zu erhalten ist. Die einzige mögliche Lösung ist, die Zungen durch Formschluss an den Backenschienen festzulegen. Genau das ist die Funktion eines Spitzenverschlusses.

Der Hakenverschluss der rechten Zunge


Im Video der Weichenumstellung am Anfang des Postings oben sieht man schon, wie ein Haken diesen Formschluss herstellt. Das folgende Video zeigt, wie ich einen solchen Hakenverschluss aus einer Büroklammer zurechtbiege.


Der Haken ist fertig. Er kriegt noch eine Antriebsstange, die ich aus Kupferdraht biege, damit man sie vom Haken unterscheiden kann.


Zum Vergleich hier ein Video eines echten Hakenverschlusses, das dieselbe Bewegung zeigt:


Das folgende Video zeigt, wieso der Anschlag auf der Zunge nötig ist. Wenn er entfernt wird, kann die Zunge nicht zuverlässig von der Backenschiene weggezogen werden. Mit dem Anschlag muss sich die Zunge mit der Antriebsstange mitbewegen, sobald der Haken sie vom festen Anschlag auf der Backenschiene freigibt.


Zusammenbau des ganzen Verschlusses



Beide Zungen bewegen sich


Ein Ausbund an Schönheit ist mein Büroklammergebiege ja nicht – aber hier sieht man, dass er die drei Phasen der Umstellung ganz gut hinkriegt:


Die Zungen sind verschlossen



Die Klinkprobe


Wenn sich ein Gegenstand zwischen Backenschiene und Zunge befindet, darf der Spitzenverschluss nicht einklinken, also sich nicht bis in die Endstellung bewegen lassen. Dadurch verhindert er, dass im Stellwerk der Weichenhebel die Endlage erreicht und dadurch eine Fahrstraße verschlossen und ein Signal auf Frei gestellt werden könnte.

Dieses Foto einer Klinkprobe (allerdings an einem Klammerspitzenverschluss) ist aus dem Posting über die Brigittenau:


Hier sieht man an meinem Büroklammermodell, wo der Hakenverschluss die Bewegung verweigert:


Und was passiert beim Auffahren?


Wir erinnern uns: Die Bauart der Spitzenverschlüsse in Mitteleuropa ergibt sich daraus, dass "immer schon" (seit den 1880er Jahren) gefordert wurde, dass sie auffahrbar sein müssen. Hier sieht man am Modell, wie sich das Auffahren abspielt:


Bei ortsbedienten Weichen klinkt nach einem Auffahren der Spitzenverschluss mit etwas Glück in der aufgefahrenen Lage ein, weil das Stellgewicht brutal in die andere Lage geworfen wird. Bei allen anderen Antrieben bleiben aber die beiden Zungen nach dem Auffahren unverschlossen, und daher darf man die Weiche dann auch keinesfalls in der Gegenrichtung, also Richtung Herzstück befahren – das führt fast sicher zu einer Entgleisung! Mehr als ein Lokführer wollte den kleinen Fehler des Auffahrens schon durch Zurückfahren korrigieren und hat mit der nachfolgenden Entgleisung eine viel größere Betriebsbehinderung produziert, wie zum Beispiel dieser Untersuchungsbericht zu einer Entgleisung in Ober Grafendorf im Jahr 2006 zeigt...

Warum eigentlich drei Phasen beim Umstellen?


Wenn man die Geometrie des Antriebs ein wenig ändert (ich habe die Antriebsstange ein wenig verlängert), dann sieht man, dass der Antrieb auch mit zwei Phasen auskommt:
  • In der ersten Phase wird die abliegende Zunge bewegt, die anliegende ausgeklinkt.
  • Wenn die anliegende Zunge sich zu bewegen beginnt, ist die andere schon an der Backenschiene angekommen, sodass dort der Verschluss mit dem Einklinken beginnt.
In diesem Fall gibt es also keine gleichzeitige Bewegung beider Zungen! Der Nachteil dieser Konstruktion ist, dass sie einen größeren Stellweg der Antriebsstange benötigt; und dass beim Auffahren auch die anliegende Zunge vom dort durchlaufenden Rad abgedrängt werden muss – Vorteil hat sie gar keinen, deshalb baut man den Verschluss auch nicht so:


Interessant ist auch noch, dass die Haken auch in anderen Orientierungen gebaut werden können: Z.B. auch nach vorne schlagend (dafür kenne ich allerdings keine Beispiele) oder auch nach oben schlagend, wie das in Italien üblich ist.

Ok – das war sicher kein Highlight der Modellbaukunst. Aber man erkennt an diesem simplen, ungenauen Modell trotzdem die wichtigen Eigenschaften dieses Spitzenverschlusses. Vielleicht finde ich (oder sonstwer!?) ja einmal Zeit, so was Ähnliches für den Klammerverschluss oder den Jüdelverschluss zusammenzubiegen. Die nächsten paar Postings werden aber wieder historische Bilder aus dem achtziger Jahren enthalten!

Update Jan.2013: Eine einfache Animation des Klammerspitzenverschlusses mit den drei Umstellphasen kann man auf dieser Webseite der Uni Stuttgart sehen.

Update Feb.2013: Erklärungen zu Spitzenverschlüssen und Links zu Videos einiger Bauarten findet man unter http://www.laenderbahn-forum.de/journal/bay-weichenverschluss/bayerweichenverschluss.html.

Ergänzung 6.5.2024: Hier sind noch vier Seiten aus dem Katalog der Firma Jüdel in Braunschweig von 1903, die in Bild und Text die zwei damals angebotenen auffahrbaren Spitzenverschlüsse zeigen:








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