Ergänzung 15.5.2016: Hanspeter Thönis Kommentare habe ich nun direkt in den Text (kursiv) eingearbeitet, was ihn viel lesbarer machen sollte!
Von Brig sind wir nach meiner Erinnerung über Lausanne und sonstwie in die Gegend von Biel gegondelt, ohne dass ich was Sinnvolles fotografiert hätte. Nebenher abgefallen sind Schnappschüsse wie die folgenden:
SBB Be4/4? 1615, wo?, 16.8.1988
SBB Ae4/7 10955, wo?, 16.8.1988
Die Schweizer haben sozusagen die Idee der englischen "Ground Frames" minimalisiert, bis nur noch ein Hebel übrig geblieben ist: Viele Weichen hatten solche freistehenden Hebel erhalten – ob aus Gründen der Effizienz oder des Arbeitsschutzes, weiß ich leider nicht – ich würde vermuten, aus beiden.
Hanspeter Thöni: Der 'Einzel Ground-Frame' hat noch einen Vorteil: Man kann daran eine Aufschneidung erkennen, da das Ausscheren der Scheibe plombiert werden kann.
Weichenhebel, Biel/Bienne, 16.8.1988
Weichen, Biel/Bienne, 16.8.1988
SBB Ee 3/3 16400, Biel/Bienne, 16.8.1988
In Grenchen Süd habe ich die alte Sicherungsanlage aufgenommen. Sie war offenbar die Adaption eines mechanischen Stellwerks mit elektrischen Weichenantriebe, die über zweckentfremdete, blau lackierte Fahrstraßenhebel gestellt wurden. Für die Fahrstraßenfestlegung waren wie üblich grüne Hebel zuständig, während rote Hebel die Signale stellten.
Die 'umfunktionierten' Fahrstrassenhebel waren eine Spezialität, die z.B. auf der Linie Luzern-Olten durchgängig vorhanden war. Beim Umbau auf elektrische Weichenantriebe wurden dabei die grossen Hebel durch solche Hebel ersetzt. Der Hebel bewegt sowohl den Verschlussbalken wie auch die Ansteuerung der Kontakte in der oben aufgesetzten Hebelsperre:
Sicherungsanlage, Grenchen Süd, 16.8.1988
Hier sieht man die Fahrstraßenhebel etwas näher – wir werden uns die möglichen Fahrstraßen gleich genauer ansehen und dabei auf einige schweizerische Spezialitäten stoßen. Über den Fahrstraßenhebeln befinden sich drei Blenden, die rot oder weiß anzeigen können. Ich denke, sie zeigen nur mechanisch an, ob auf ein (Haupt-)Gleis eine Fahrstraße eingestellt ist; die genaue Funktion weiß ich leider nicht.
Die rot/weissen Farbscheiben sind die Anzeige der sogenannten 'Fiktiven Gleisbelegung.' Das ist ein Überbleibsel aus der Zeit, wo nicht alle Geleise isoliert, also mit Gleisfreimeldung versehen waren. Eine Einfahrt in ein Gleis kann nur gestellt werden, wenn die Scheibe weiss ist. Beim Stellen der Einfahrt (relevant ist der Fahrstrassenhebel) wechselt die Scheibe auf Rot. Beim Zurücklegen bleibt die Scheibe rot. Erst wenn man nun eine Ausfahrt stellt, wird beim Zurücklegen der Ausfahrt-Fahrstrasse die Scheibe wieder weiss. Die zweite Funktion dieser Belegteinrichtung ist die mechanische Fahrstrassenreihenfolge. Damit wird verhindert, dass man zuerst eine Ausfahrt und dann eine Einfahrt auf ein Gleis stellt. In der Schweiz hat man die sog. Vereinfachte Fahrstrassenreihenfolge angewendet: Eine Ausfahrt lässt sich immer stellen, auch wenn vorher keine Einfahrt eingestellt wurde (also die Scheibe weiss ist). Um ein Gleis zu belegen oder freizumachen (wenn mit Rangierfahrten Fahrzeuge entfernt oder hineingestellt wurden), muss man eine blinde Ein-/Ausfahrt machen (also nur den Fahrstrassenhebel, ohne Signalbedienung).
Auf dem Hebelaufsatz für die Fahrstraßenhebel ist oben ein kleines Integrapult für einen Bahnübergang in einem benachbarten Bahnhof angebracht – das muss wohl Bettlach sein – Grenchen Süd selbst kann es nicht sein, da passen weder die Gleisnummern noch die Weichen noch die Signalbezeichnungen, und der Abzweigbahnhof Lengnau ist es sicher nicht; aber leider ist das Bild so unscharf, dass man die Kilometerangabe über den beiden Tasten nicht lesen kann. Wieso aber wurde dieser Bahnübergang nicht von "seinem Bahnhof" gesteuert? – war der Bahnhof nicht besetzt? Wie funktioniert dann aber der Streckenblock, der offenbar noch Einzelzustimmung verwendete – siehe das Detailbild weiter unten? ... irgendwas passt da nicht zusammen.
Bettlach dürfte mit
Das Bild von Pieterlen im nächsten Post hat mir noch gezeigt, dass der Block noch nicht automatisiert war. Die Strecken hatten also noch keine Gleisfreimeldung (hätte mir vorher schon auffallen können, da auf dem Bild oben klar und eindeutig eine Rückmeldungslampe mit zugehöriger Rückmeldetaste zu sehen ist). Das Stellwerk in Bettlach kann also keinen 'automatischen Durchgangsbetrieb' gehabt haben, sondern nur einen 'Durchgangsbetrieb'. Der Unterschied liegt darin, dass die Station in diesem Falle nicht Blockstelle sein kann. Es kann ja keiner den Zugschluss kontrollieren, wenn die Station nicht bedient ist. Die Rückmeldedistanz verlängert sich daher bis zur nächsten bedienten rückliegenden Station.
Außerdem waren auf diesem Pult auch rechts unten die Tasten für die Tag/Nachtumschaltung der Signale und die Weichenbeleuchtung hier in Grenchen Süd angebracht:
Fahrstraßenhebel und Überwachungspult, Sicherungsanlage, Grenchen Süd, 16.8.1988
Die Gleistafel habe ich leider mit einer Blitzlichtreflexion verunziert. Hier ist auf beiden Seiten eine Einfahrt gestellt:
Gleis- und Signaltafel, Grenchen Süd, 16.8.1988
Den Gleisplan habe ich hier noch einmal lesbarer nachgezeichnet (Klick öffnet lesbares PDF):
Interessant ist die Bezeichnung der Signale: Sie haben alle den Index 1/2, was keine Gleisnummern sind, sondern noch von den alten Bezeichnungen für Semaphore (Flügelsignale) herrührt und
Der folgende Ausschnitt aus dem vorletzten Bild zeigt die Fahrstraßenhebel, anhand derer wir eine Fahrstraßentabelle aufstellen können:
Sicherungsanlage, Grenchen Süd, 16.8.1988
Hier ist einmal eine kurze Tabelle, aus der wir zwei Spezialitäten der Schweiz ersehen können. Die Fahrmöglichkeiten auf den durchgehenden Hauptgleisen 1 und 2 sind offensichtlich. Auch die Fahrmöglichkeiten auf Gleis 3 sind nicht unerwartet: Auf dieses Ausweichgleis kann von beiden Seiten eingefahren werden und auch auf beiden Seiten ausgefahren. Erstaunlich (für Nicht-Schweizer) sind aber die Ausfahrten von Gleis 5: Zum ersten ist dieses Gleis das Ladegleis direkt am Güterschuppen, also ein Nebengleis. In anderen Ländern sind Ausfahrten aus solchen Gleisen nicht möglich – nicht mehr möglich, denke ich, denn vor 120 und mehr Jahren dürfte das noch zulässig gewesen sein. Noch erstaunlicher ist, dass eine der beiden Ausfahrtstraßen vom Gleis 5 über einen Entgleisungsschuh führt – aber auch das ist in der Schweiz nicht ungewöhnlich, wie man auch an diesem Unfallbericht sehen kann
Dass aus dem 'Rampengleis' nur eine Ausfahrt, aber keine Einfahrt vorhanden ist, war in der Schweiz die Standardausführung. Die Entgleisungsvorrichtung/Entgleisungsschuh wurde benötigt, da vom Zwischengleis (zwischen 1 und 5) kein Flankenschutz zum durchgehenden Hauptgleis vorhanden war:
Hier ist mein Versuch, den Verschlussplan des Stellwerks für die Fahrstraßen aus den sichtbaren Beschriftungen zu rekonstruieren. Die kursiven Einträge sind von mir ergänzt. Die Pluszeichen (+) sind nicht neben den Fahrstraßenhebeln angeschrieben, sondern von mir zur Klarstellung eingetragen – offenbar werden auch hier, wie auf manchen österreichischen Anlagen, nur die Weichen vermerkt, die gegen die Grundstellung stehen müssen. Bei Einträgen mit Fragezeichen bin ich mir unsicher, ob hier ein Verschluss hergestellt wird.
Was aber bedeuten die rot markierten Einträge? Die roten Fahrstraßen sind – so schließe ich aus dem Gleisplan – im Zuge
Die Strecke ist allerdings nicht banalisiert, also mit echtem Gleiswechselbetrieb versehen. Das sieht man, da nur ein Einfahrsignal vorhanden ist. Bei einer Banalisierung benötigt man pro Gleis ein Einfahrsignal.
Als das Stellwerk gebaut wurde, gab es nur Fahrstrassen vom bzw. auf das linke Gleis. Ein signalmässiges Fahren auf das 'falsche' Gleis war nicht möglich. Im normalen Doppelspurbetrieb ist es auch in diesem Zustand nicht möglich. Später, als der Gleichstromblock eingeführt wurde, wurde hier die Möglichkeit geschaffen, mittels Streckensperre ein Gleis quasi 'ausser Betrieb' zu nehmen und auf dem verbleibenden Gleis Einspur zu fahren. Nun gab es aber ein Problem: Wir brauchen Fahrstrassen für diese 'falschen' Fahrten. Da gab es nun zwei Möglichkeiten: Häufig hat man zusätzliche Fahrstrassenhebel für diese Fahrten eingebaut. Hier hat man aber eine andere Möglichkeit gewählt: Man sieht auf dem Fahrstrassenhebel rechts, dass zwei Fahrstrassen auf der gleichen Hebelstellung liegen oben: a2 und a2f. a2 bedeutet von Signal A nach Gleis 2, a2f bedeutet von Signal A nach Gleis 2 vom falschen Gleis aus. Das gleiche sieht man bei den Ausfahrten b3 und b3f. Und hier kommt die Farbe ins Spiel: die 'falsche' Fahrstrasse ist in Rot angeschrieben. Diejenigen Weichen, die nun für die falsche Fahrstrasse umgelegt werden müssen, sind daher ebenfalls in Rot angeschrieben.
Was allerdings die rote Weichennummer 8 bedeuten soll, ist mir nicht klar. Man sieht diese rote 8 sowohl neben den Fahrstraßenhebeln wie auch direkt bei den Aufschriften neben dem Weichenhebel.
Die rote Weiche 8 bedeutet genau das, was Florian Listl bereits in seinem Kommentar geschrieben hat, nämlich "dass +/- Stellung hier vertauscht sind, sprich, die Weiche in Grundstellung abzweigend steht."
Interessant sind zuletzt auch noch die Signalbezeichnungen: Hier sind wieder die möglichen Fahrbegriffe angezeigt. Wenn zwei Fahrstraßen derselben Hebellage (also eine "schwarze" und eine "rote"), aber verschiedene Signalstellungen (etwa bei c2 und c21) brauchten, dann waren einfach beide Ziffern angegeben, z.B. C1/2; die korrekte Auswahl des Signalbildes erfolgte ja sowieso über die jeweils eingestellte Fahrstraße (Klick öffnet lesbares PDF):
Diese zusätzlichen Fahrstraßen auf das oder vom jeweiligen Gegengleis werden allerdings, wie man am Bildausschnitt weiter oben sehen kann, von denselben Fahrstraßenhebeln in derselben Stellung verschlossen – da aber Weichen dort anders stehen müssen als bei den Fahrten auf das oder vom Regelgleis, kann der Verschluss nicht mechanisch über das Verschlussregister erfolgen! Offenbar ist also die "mechanische" Anlage schon teilweise auf elektrischen Verschluss der Weichen umgebaut worden.
Nein, der Verschluss ist doch (auch) mechanisch gelöst: Nun haben wir jedoch das Problem, dass z.B. bei den Fahrstrasse a2 und a2f die Weichenverbindung ½ je nach Verwendung anders liegen müssen. Daher hat man spezielle Verschlussstücke oder auch 'Löcher' in die Verschlussbalken gebaut, welche dafür sorgen, dass die Weiche bei dieser Fahrstrasse in beiden Lagen verschlossen wird. Ob die Weiche richtig liegt, kann jetzt aber nur noch elektrisch geprüft werden, dass wird in der Signalfreigabe erledigt. In diesem Stromkreis werden auch die Blockbedingungen sowie die Gleisfreimeldung geprüft. Der Verschluss erfolgt also immer noch mechanisch.
Und ein solches Loch sieht man tatsächlich auch auf dem Foto des Schieberkastens weiter unten – hier ein Ausschnitt davon:
Hier sieht man die Hebel für Ein- und Ausfahrsignal auf Seite Bettlach und daneben zwei Weichenhebel. Der linke davon ist für die Weiche 9 und den dahinterliegenden Entgleisungsschuh (Es!) zuständig, der rechte für das Weichenpaar 7/8. Alle Hebel können durch Hebelsperren blockiert werden:
Sicherungsanlage, Grenchen Süd, 16.8.1988
Die Möglichkeit von gesicherten Fahrten im Einspurbetrieb erkennt man auch auf dem Kasten für die Streckenblocksteuerung, den ich aus dem vorigen Bild herausvergrößert habe: Für beide Streckengleise 184 und 284 Richtung Bettlach kann hier getrennt die "freie Bahn", also die Erlaubnis zu Fahrten Richtung Bettlach, angefordert werden; und umgekehrt die Zustimmung zu Fahrten von Bettlach nach Grenchen Süd gegeben werden. Eine gleichartige Bedienung ist auf der linken Seite der Anlage für die Streckengleise 186 und 286 Richtung Lengnau vorhanden.
Eine Einzelzustimmung (pro Zug) im Einspurbetrieb gab es nur beim OH-Block (genannt Chrüzliblock). Das ist hier aber nicht die verwendete Blockart. Beim Doppelspurblock mit Streckensperre (wie hier in Grenchen Süd) musste nur eine Zustimmung erteilt werden, wenn die Fahrrichtung gewechselt werden sollte (nur bei Einspurbetrieb möglich):
Sicherungsanlage, Grenchen Süd, 16.8.1988
Man erkennt übrigens, dass diese Bauart der Jüdel-Stellwerke der direkte Vorläufer der deutschen Einheitsstellwerke sind: Von den Verschlussbalken bis zu den Blockwellen im Hintergrund und natürlich auch der Anordnung der Schieberkastens und den Fahrstraßenhebeln auf den vorherigen Bildern ist alles von den Einheitsstellwerken her wohlvertraut:
Schieberkasten, Sicherungsanlage, Grenchen Süd, 16.8.1988
Von wem diese konkrete Anlage ursprünglich gebaut wurde, weiß ich leider nicht – auf dem ersten Bild ist zwar das Fabriksschild am Rahmen mit drauf, aber es ist praktisch nicht entzifferbar. Mit (zu?) viel Phantasie könnte man aber in der Mitte den Namen Jüdel erkennen.
Das Stellwerk ist definitiv Jüdel, wenn noch die alten Weichen-/Signalhebel da wären, sähe man das besser:
spontane Vermutung: Die Roten Zahlen geben an dass +/- Stellung hier vertauscht ist. Sprich die Weiche in Grundstellung abzweigend steht.
AntwortenLöschenJa - das wär wirklich (auch vom Gleisplan her) sinnvoll!
LöschenH.M.