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Montag, 17. Dezember 2018

Streckenblock im Bahnhof: Englische Verhältnisse am Stw.2, Wien Süd, 1989

Von der Südbahn-Seite des Südbahnhofs bin ich dann auf die Ostseite gewechselt. Die Gleisanlagen dieses Bahnhofsteils sind ziemlich verworren, weil dies – neben dem Nordwestbahnhof – der zweite große Güterbahnhof der Millionenstadt Wien war, der damals über fast 150 Jahre immer weiter gewachsen und gewuchert war. Hier ist ein Überblick über die Gleisanlagen zu sehen, der aus dem Apfelthaler'schen Gleisplan auf sporenplan.nl extrahiert ist – vorerst als Handskizze, bis ich eine saubere Darstellung gezeichnet habe:


Auf der Ostseite des Südbahnhofs waren, wenn ich das richtig verstehe, vier Fahrdienstleiter zugleich tätig:
  • Einer war für die Züge in der Halle, also auf den Bahnsteiggleisen verantwortlich.
  • Zwei weitere waren auf den Stellwerken 1 und 2 tätig.
  • Ein vierter schließlich war wohl für Fahrdienstaufgaben am Frachtenbahnhof zuständig.
Sicherungsanlagen wurden allerdings nur von den Fahrdienstleitern auf den Stellwerken 1 und 2 bedient.

Mein erster Besuch auf der Ostseite galt dem Stellwerk 2 in der Nähe der Gudrunstraße. Hier sieht man die 5007er-Hebelbank in voller Länge, mit allen Hebeln in Grundstellung. Im Hintergrund ist der Blockapparat zu erkennen, der graue Kasten über dem Schieberkasten enthält Anzeigelampen für Verschubsignale:

Hebelbank, Stw.2, Wien Süd, 21.12.1989

Am Blockapparat befanden sich links die Ff-Felder für die zwei zweigleisigen Strecken Richtung Norden und Osten. Für die eingleisige Strecke durch den Steudeltunnel waren daneben die drei Felder zur Befehlsabgabe und Fahrstraßenauflösung am Stellwerk 3 angeordnet:

Blockapparat, Stw.2, Wien Süd, 21.12.1989

Am Arbeitsplatz auf der gegenüberliegenden Seite war das Anzeigepult für die Signale angebracht. Über dieses Pult wurden auch die Zustimmungen am Stellwerk 2A angefordert und zurückgegeben. Man kann als wesentliche Bahnhofsteile erkennen:
  • rechts oben die beiden zweigleisigen Strecken Richtung Laa (mit Linksbetrieb; der "nördliche Ast der Ostbahn") und Nickelsdorf (Rechtsbetrieb, "östlicher Ast der Ostbahn");
  • auf der linken Seite oben ihre Fortsetzungen als zwei zweigleisige Strecken zur "Halle", also zu den Bahnsteiggleisen;
  • darunter die vier durchgehenden Hauptgleise 101 bis 104 des Frachtenbahnhofs
  • und auf dessen linker Seite die eingleisige Strecke durch den Steudeltunnel nach Matzleinsdorf;
  • zuletzt unter dem Frachtenbahnhof noch die Gruppenausfahrsignale für die Gleise 105–110 und 113–125.

Signalanzeige und Zustimmungsabgabe, Stw.2, Wien Süd, 21.12.1989

In den Streckengleisen Richtung Halle erkennt man Anzeigepfeile eines ZG-Blocks, und zwischen den Gleisen jeder Strecke befindet sich auch eine RBT, also eine Rückblocktaste: Es war hier also innerhalb des Bahnhofs eine Streckenblockung vorhanden! Die "Ein- und Ausfahrsignale" des "Bahnhofsteils Halle" sehen wir einige Postings später bei den Aufnahmen des Stellwerks 1; sie waren betrieblich natürlich Zwischensignale und hatten die Bezeichnungen S bis U bzw. E1 bis E9. Diese Anordnung mit einer Streckenblockung zwischen Stellwerken eines Bahnhofs erinnert an die britischen Gepflogenheiten, wo es ja den Unterschied zwischen Bahnhof und Strecke nach mitteleuropäischen Vorstellungen nicht gibt und wo daher zwei Stellwerke an den Enden eines Bahnhofs miteinander gleichartig kommunizieren wie jene von zwei durch ein langes Streckengleis verbundenen Bahnhöfen. Es gibt daher in Großbritannien betrieblich und weitgehend auch technisch keinen Unterschied zwischen Bahnhofs- und Streckenblockung: Die Belegung und Freigabe eines durchgehenden Gleises muss immer zwischen den zwei "gleichrangigen" Stellwerken an seinen beiden Enden vereinbart werden. In Österreich war eine analoge Lösung nur in ganz wenigen Ausnahmesituationen gewählt worden, und dort jeweils anlageabhängig abgewandelt; Beispiele, die mir einfallen, sind das St.Michael und Vöcklabruck – wobei in diesen Fällen jeweils ein Fahrdienstleiter für den Verkehr auf diesen "Bahnhofsstrecken", wenn man sie so nennen will, verantwortlich war. Hier am Südbahnhof aber waren die beiden beteiligten Stellwerke 1 und 2 tatsächlich beide von Fahrdienstleitern besetzt, was fast 1:1 den britischen Gepflogenheiten mit voll verantwortlichen "signalmen" auf zwei "signalboxes" entspricht.

Aber nun genug von diesen besonderen Blockstrecken! Auf den folgenden zwei Bildern sieht man eine eingestellte Verschubfahrt: Auf der Hebelbank ist eine ganze Reihe von Weichen gegen die Grundstellung umgelegt, und am Anzeigekasten über dem Schieberkasten leuchtet die Lampe eines Verschubsignals:

Hebelbank, Stw.2, Wien Süd, 21.12.1989

Auf der Signalanzeige erkennt man am nächsten Bild auch, welches Verschubsignal da freigestellt ist – es ist das V105-110 am Gruppenausfahrsignal R105-110. Interessant, aber leider auch nach 30 jahren etwas rätselhaft ist das Ausfahrsignal am Gleis 821 aus dem Heizhaus - Alexander Binder hat mir dazu geschrieben:
Auf deinen Bildern des Signalstellpultes am “Spitz” (Wien Süd Stellwerk 2) ist unterhalb der 4 Streckengleise 21/22 und 31/32 noch das Gleis 821 samt Ausfahrsignal zu erkennen. Das war das AS vom Heizhaus Wien Ost, wobei auch für dieses Gleis Zustimmungstaster für Ein- und Ausfahrt vorhanden waren. Jedenfalls erinnere ich mich ganz genau, daß – bis zu einem kleinen Umbau in etwa 1993/94 – unmittelbar neben dem Ausfahrsignal R 821 ein eigener “Weichenposten” (Bezeichnung ?) vorhanden war, ein winziges, gemauertes Häuschen mit Blockapparat im Inneren. Jedenfalls kam vor jeder bevorstehenden Ausfahrt ein Mitarbeiter (Weichenwärter ?) zu diesem Häuschen anmarschiert, und erst nach einigen Bedienhandlungen wurde das AS frei. Vorgehensweise bei der Einfahrt ist mir unbekannt, da ich das ja nicht von der Lok beobachten konnte. Ca. 1993/94 wurde dieser “Mini-Weichenposten” außer Betrieb genommen, ich nehme an, daß das gemeinsam mit dem Umbau der beiden im Heizhaus Wien Ost zuständigen “Stellwerke” (Heizhaus Wien Ost WP 1 und 2) erfolgte (da wurde die südöstlichste Weiche isoliert und mit elektrischem Antrieb versehen sowie ein zusätzliches Ve-Signal aufgestellt); an weitere Details kann ich mich leider nicht erinnern, da ich dann einige Zeit dienstlich hier nicht vorbei gekommen bin ...
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Signalanzeige und Zustimmungsabgabe, Stw.2, Wien Süd, 21.12.1989

Auch am folgenden Bild ist ein – anderes – Verschubsignal freigestellt, die Suche danach überlasse ich dem Leser. Rund um das Stellpult sieht man weitere Hilfsmittel eines Fahrdienstleiters:
  • Links steht der Bahnhofsfernsprecher mit fünf Schaltern, um sich in verschiedene Leitungen einschalten zu können,
  • unter dem Stellpult liegt rechts der Zählwerksvermerk,
  • und rechts sieht man ein Stückchen der Erinnerungstafel für die Gleisbelegungen im Frachtenbahnhof:

Signalanzeige und Zustimmungsabgabe, Stw.2, Wien Süd, 21.12.1989

Signalanzeige und Zustimmungsabgabe, Stw.2, Wien Süd, 21.12.1989

Und noch ein Verschubsignal auf Frei – der Verschub muss gerade sehr aktiv gewesen sein, aber leider habe ich davon draußen keine Aufnahmen gemacht:

Signalanzeige und Zustimmungsabgabe, Stw.2, Wien Süd, 21.12.1989

Das folgende Bild zeigt einen Teil des Schieberkastens und darüber die Anzeige für die Verschubsignale. Auf dem Schieberkasten liegt ein Einrückeisen und ein weiteres, mir unbekanntes Werkzeug:

Verschubsignalanzeige, Fahrstraßenknebel, Stw.2, Wien Süd, 21.12.1989

Ein paar Bilder habe ich draußen doch noch geschossen: Vor dem markanten Funkturm der Post fährt hier eine Schnellbahn vorbei:

4020.010, Wien Süd, 21.12.1989

Gegen den Himmel und daher etwas dunkel sieht man hier das Stellwerksgebäude:

Stellwerk 2, Wien Süd, 21.12.1989

Und zuletzt ein Zug mit Wohnwagen eines Bautrupps:

1042.005 mit Bauzug, Wien Süd, 21.12.1989

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