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Donnerstag, 10. Januar 2019

Zur Konstruktion des Gruppenantriebs und Gruppenverschlusses der Deutschen Einheit

Die Diskussion um das "mechanische logische Oder" hat in letzter Zeit eine Fortsetzung gefunden, und als Ergebnis habe ich einen realistischeren Signalgruppenverschluss zusammengenagelt – ja, tatsächlich genagelt. Aber bevor ich diese Demo-Konstruktion zeige, will ich auf die grundsätzliche Konstruktion eines solchen "mechanischen Oders" eingehen, die in den deutschen Einheitsstellwerken verwendet wurde. Im oben verlinkten Posting habe ich ja schon den "Gruppenantrieb" einer Blockwelle vorgestellt. Dieser war aber nicht die einzige "Oder-Konstruktion", daneben gab es noch den Signalgruppenverschluss. Die folgenden zwei Bilder aus einem Lehrbuch zeigen die jeweiligen "zweiseitigen" Konstruktionen, die für Fahrstraßenschieber verwendet werden (es gibt auch noch entsprechende "einseitige" Konstruktionen für die sogenannten Signalschieber, die aber im wesentlichen gleich funktionieren):

Gruppenantrieb einer Blockwelle (Deutsches Einheitsstellwerk)

Am folgenden Bild des Signalgruppenverschlusses kann man erkennen, dass auch hier ein Bauteil verdreht wird – nur ist es nicht eine Blockwelle, sondern eine spezielle Sperrgabel, die dann den Verschlussbalken des Signalhebels freigibt:

Signalgruppenverschluss (Deutsches Einheitsstellwerk)

Im Folgenden sehen wir uns diese Konstruktionen genauer an, um dann selbst einen einfachen Signalgruppenverschluss zu konstruieren. Zuvor müssen wir aber die Anforderungen an einen solchen Verschluss auflisten:

  • Gegeben sind mehrere Fahrstraßenschieber, die sich aus der Mittellage nach links oder rechts verschieben können.
  • Wenn sich einer dieser Schieber nach links oder rechts verschiebt, soll eine Welle in die eine oder andere Richtung verdreht werden.
  • Die Bedingung, dass beide Verschieberichtungen – links und rechts – die Welle verdrehen sollen, ist nicht sicherheitsrelevant, aber bequem: Man könnte auch Fahrstraßenschieber bauen, die sich nur in eine Richtung verschieben lassen – dann bräuchte man aber (ungefähr) doppelt so viele Schieber, was die Baugröße und die Kosten des Stellwerksapparats entsprechend erhöht.
  • Wenn die verdrehte Welle durch einen anderen Verschluss am Zurückdrehen gehindert wird (z. B. den umgelegten Signalhebel; oder die Riegelstange eines Blockfeldes), dann muss sie ihrerseits den Fahrstraßenschieber am Zurückverschieben daran hindern. Ich nenne das den "Rückverschluss" des Schiebers. Diese Forderung ist sicherheitsrelevant: Denn nur durch den Rückverschluss ist z. B. garantiert, dass die Weichen verschlossen bleiben, solange das zugehörige Signal auf Frei steht: Der Rückverschluss verhindert das Zurückstellen des verschobenen Fahrstraßenschiebers, der seinerseits wiederum die Weichenhebel in ihrer jeweiligen Stellung verschließt. Damit wird die auch rechtlich relevante sogenannte Signalabhängigkeit erreicht (in Deutschland ist das in der Eisenbahnbetriebsordnung im §14, Abs. 9 verlangt, in Österreich steht das in der Eisenbahnbau- und -betriebsverordnung im §11, Abs. 11).
  • Eine dritte Forderung ist für manche Anwendungsfälle auch noch hilfreich: Wenn ein Fahrstraßenschieber verschoben ist und damit die Welle verdreht hat, sollen alle anderen Fahrstraßenschieber gegen das Verschieben versperrt sein.
Insbesondere die Forderung der Signalabhängigkeit macht die Schwierigkeit der Aufgabe aus, aber auch der zweite Punkt ist schon eine Herausforderung. Wenn sich die Schieber nur in eine Richtung bewegen können und wenn kein Rückverschluss gefordert würde, dann würde folgende einfache Konstruktion ausreichen – links sieht man die Konstruktion, rechts ihre Anwendung für zwei Fahrstraßenschieber:

Nicht-sicherer, daher unzulässiger Gruppenverschluss

Diese Konstruktion ist aber, wie gesagt, gesetzlich unzulässig, weil sie die Signalabhängigkeit nicht garantieren kann. Wie geht es dann aber richtig – wie funktionieren also die beiden Konstruktionen für Gruppenabhängigkeiten des Einheitsstellwerks, und wie kann man selbst eine analoge Konstruktion entwickeln?

Wir beginnen mit einer einfachen, aber grundlegenden Überlegung: Wenn einer von vielen Fahrstraßenschiebern die Welle verdrehen können soll, aber die anderen Fahrstraßenschieber dabei in ihrer Mittenlage stehen bleiben, dann dürfen sich diese anderen Fahrstraßenschieber und die Welle gegenseitig nicht "ins Gehege kommen"; und dasselbe muss natürlich auch für den ersten Fahrstraßenschieber gelten, wenn ein anderer die Welle verdreht. Geometrisch kann man das wie im folgenden Bild skizzieren: Unten sieht man den vordersten Fahrstraßenschieber – die anderen liegen verdeckt dahinter – und darüber die zu verdrehende Welle. Und nun muss gelten: Wie immer unsere Konstruktion auch aussehen wird, in ihrer Grundstellung dürfen sich die Konstruktionselemente, die mit dem Schieber verbunden sind, und jene, die mit der Welle verbunden sind, nicht überlappen. Da die Welle sich drehen können muss, auch wenn der dargestellte Schieber in Mittelstellung bleibt (weil ja ein andere Schieber sie verdrehen können muss), "beansprucht" die Konstruktion auf der Welle eine Kreisfläche; und die Konstruktion auf den Fahrstraßenschiebern muss sich aus dieser Kreisfläche draußen halten:

Konstruktionsbereiche der Welle und der Schieber

Aus dieser Überlegung folgt übrigens direkt, dass die Welle in der Grundstellung von keinem einzigen Fahrstraßenschieber festgehalten werden kann. Wenn die Welle also z. B. einen Signalhebel freigibt, dann könnte sie das leider auch "einfach so" tun, ohne dass eine Fahrstraße eingestellt ist, indem sie sich "von selbst" verdreht. Das darf natürlich nicht sein, und daher stellt man zwei weitere Forderungen an die Konstruktion:
  • Aktive Rückstellung: Die Gesamtkonstruktion muss die Welle beim Zurücklegen eines Fahrstraßenschiebers wieder (ungefähr) in die Mittenlage zurückdrehen – dadurch wird das Element, das von der Welle freigegeben wurde (etwa der Signalhebel), nun wieder aktiv verschlossen.
  • Stabile Ruhelage: Darüberhinaus muss auch ein "spontanes" Verdrehen verhindert werden, etwa aufgrund von Erschütterungen durch die Bedienung anderer Hebel der Hebelbank (da geht es manchmal ziemlich ruppig zu!)

Wir haben also nun die Rahmenbedingungen für eine Konstruktion aufgezeichnet, durch die sich Schieber und Welle gegenseitig nicht beeinflussen. Das ist aber natürlich nicht unser Ziel – wir wollen ja beim Verschieben eines Schiebers die Welle sehr wohl verdrehen. Wie kann das erreicht werden? Eine einfache Möglichkeit ist, am Schieber einen "Zahn" anzubringen und in der Welle eine "Zahnlücke": Wenn der Schieber nach rechts verschoben wird, schiebt sich der Zahn in die Lücke und dreht dann die Welle mit. Hier ist das aufgezeichnet:

Grundkonstruktion mit Zahn

Fünf Punkte sind an dieser Konstruktion wichtig:
  • Zum ersten sieht man, dass sie sich genau an die Bereiche von oben hält: Der Zahn befindet sich in Ruhestellung außerhalb der Welle, und die Konstruktion an der Welle erstreckt sich auch nicht aus ihrem Kreis hinaus. Wenn man nun also mehrere Schieber hintereinanderbaut, die alle einen solchen Zahn haben, dann kann jeder von ihnen die Welle verdrehen, ohne dass die anderen Schieber "sich dagegen wehren" (und wehren können)! – das ist die grundlegende Oder-Funktion.
  • Die Konstruktion hat einen gewissen "Leerlauf": Der Zahn liegt nicht an der Welle an, sondern muss zuerst eine kleine Distanz überwinden, bevor er die Welle zu drehen beginnt. Man kann sich überlegen, dass es keine Konstruktion ohne einen solchen Leerlauf geben kann, dass es also immer einen solchen "verlorenen Weg" geben muss.
  • Wenn der Zahn die Welle so weit gedreht hat, dass die Rückseite der Lücke tiefer als die Zahnoberkante steht, dann kann sich der Zahn nicht mehr durch eine Rückwärtsbewegung aus der Lücke befreien, wenn die Welle festgelegt wird. Das ist der oben erwähnte sicherheitsrelevante "Rückverschluss".
  • Wenn andererseits die Welle nicht (mehr) festgelegt ist, dann wird der Zahn bei der Rückwärtsbewegung des Schiebers die Welle auch wieder zurückdrehen – das ist die "aktive Rückstellung". Allerdings wird die Welle nicht ganz in die Ruhestellung zurück gedreht, da in dieser die Lücke ein wenig höher als der Zahn steht (damit der Zahn nicht vor dem Eingriff in die Lücke hängenbleibt). Diese letzte Drehung muss durch ein weiteres Bauteil erfolgen – dazu wird eine mehr oder weniger aufwendige Feder-Konstruktion namens "Feder-Zange" eingesetzt.
  • Zuletzt erreicht die Konstruktion auch, dass die anderen, nicht verschobenen Schieber bei verdrehter Welle blockiert werden: Ihre Zähne stoßen nämlich beim Versuch des Verschiebens gegen den Teil der Welle an der Rückseite der Lücke – eine geringe Verschiebung eines anderen Schiebers ist also möglich, aber dann wird er blockiert.
(Schon erstaunlich, was man zu einer so einfachen Konstruktion – Schieber mit Zahn, Welle mit Lücke – alles sagen kann ...).

Man kann diese Konstruktion noch etwas abstrakter darstellen, nämlich so:

Abstrakte Grundkonstruktion mit Zahn

Die Bewegung des Zahnes in die Lücke und das anschließende Verdrehen der Welle lässt sich dann so skizzieren:

Bewegung der Grundkonstruktion mit Zahn

Und hier sieht man die ganze Konstruktion im Schrägriss für drei hintereinanderliegende Schieber – zuerst in Ruhelage ...

Grundkonstruktion mit Zahn für drei Schieber in Ruhelage

... und dann bei Verschiebung durch den mittleren Schieber:

Grundkonstruktion mit Zahn für drei Schieber in ausgelenkter Lage

Man kann sich an dieser einfachen Zeichnung alle oben besprochenen Forderungen und Eigenschaften noch einmal überlegen. Und zuletzt kann man diese abstrakte Sicht – Zahn auf Schieber greift in Lücke auf Welle – auch an der konkreten Konstruktion des Gruppenantriebs einer Blockwelle erkennen:

Gruppenantrieb einer Blockwelle (Deutsches Einheitsstellwerk) mit eingezeichnetem "Zahn"

Wenn man sich die abstrakte Konstruktion noch einmal ansieht, ...

Grundkonstruktion mit Zahn

... dann fällt einem schnell auf, dass man dieselbe "Einkupplung" des Schiebers an die Welle auch durch eine umgekehrte Anordnung erreichen kann: Eine Ausnehmung oder "Gabel" am Schieber umfasst einen Zahn an der Welle und verdreht diese dadurch:

Grundkonstruktion mit Gabel

Die Übertragung der Bewegung vom Schieber auf die Welle lässt sich dann so darstellen ...

Bewegung der Grundkonstruktion mit Gabel

... und ein Gruppenverschluss für drei Schieber sieht dann so aus:

Grundkonstruktion mit Gabel für drei Schieber in Ruhelage

Die Auslenkung durch die Gabel ist hier (vielleicht etwas undeutlich) dargestellt:

Grundkonstruktion mit Gabel für drei Schieber in ausgelenkter Lage

Diese Konstruktion funktioniert genauso gut wie die oben dargestellte – und tatsächlich ist der Signalgruppenverschluss nach diesem Konzept aufgebaut, wie man am folgenden Bild erkennen kann:

Signalgruppenverschluss (Deutsches Einheitsstellwerk) mit eingezeichneter Gabel

Soweit zur grundlegenden Funktionsweise eines solchen "Logisch-mechanischen Oders". Aber kann man soetwas für einfache Zwecke – etwa eine Modellbahn! – auch ohne großen Maschinenbauaufwand zusammenbauen?

... ja, man kann: Im nächsten Posting zeige ich eine einfache Konstruktion eines solchen Verschlusses aus einem Alu-Winkelprofil und einigen Blechplättchen – hier ist schon einmal ein Link zu einem Video meiner Demo-Konstruktion.

2 Kommentare:

  1. Hallo,
    ein wirklich spannender Artikel über die Konstruktion des Gruppenantriebs! Ich finde die technischen Details faszinierend, besonders die Beschreibung der Antriebssteuerung und wie die Synchronisation zwischen den einzelnen Komponenten erreicht wird. Ich frage mich jedoch, wie sich diese Lösung in Bezug auf Wartungsaufwand und Langzeitzuverlässigkeit schlägt. Gibt es spezifische Herausforderungen, die man beachten sollte, wenn man ein solches System über längere Zeit betreibt?
    Freue mich auf deine Einschätzung und mögliche Tipps!
    Beste Grüße!

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    1. Grundsätzlich stört der Verschleiß ;-) - das gilt aber für alle Arten von mechanischen Verschlüssen. Ich weiß, dass beim Regelstellwerk 5007 bei irgendeinem Verschlusselement "nachkonstruiert" werden musste, weil bestimmte Verschlüsse nach längerer Betriebszeit nicht mehr garantiert zustandekamen; müsste ich nachschauen, was das war. Und man könnte in den "Einbauvorschriften für das Einheitsstellwerk" und im Hentzen ("Erläuterungen zu den Einheitszeichnungen für Stellwerksteile") nachschauen, ob dort was entsprechendes vermerkt ist ...

      H.M.

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