Mittwoch, 18. Januar 2012

Blockfelder und ortsbediente Weichen - Statzendorf, 2011

Der Titel hieß vorher "5007er und ortsbediente Weichen". Aber Boris vom www.eisenbahnforum.de hat mich auf die "Kleinigkeit" hingewiesen, dass da nirgends ein Verschlussregister, Hebel o.ä. der Bauart 5007 zu sehen wär' ... wo er Recht hat, hat er Recht!

Statzendorf liegt an der Strecke von Krems a.d.Donau nach Herzogenburg in Niederösterreich. Es ist einer der letzten österreichischen Bahnhöfe (überhaupt der letzte?) mit ausschließlich ortsgestellten Weichen und planmäßigen Zugskreuzungen – untertags oft eine je Stunde. In naher Zukunft soll Statzendorf ferngesteuert werden, und dazu muss der bisherige niveaugleiche Übergang zu den ehemaligen Schüttbahnsteigen entfallen. Ein neuer Mittelbahnsteig an Stelle von Gleis 3 ist schon gebaut, und die notwendige Personen-Unterführung ist in Bau:



Derzeit werden aber die Weichen noch wie eh und je von Hand ortsbedient – bei jeder Zugskreuzung. Die Stellwerksanlage von Statzendorf ist eine interessante Zusammenstellung aus Einzelapparaten mechanischer Stellwerke:


In der Fahrdienstleitung ...
  • ... steht ein 6-feldriges Blockwerk für Fahrstraßenverschluss und -auflösung. Das Blockwerk enthält zusätzlich zwei Felder für die Freigabe von Schlüsseln für Anschlussbahnen (nur mehr eine davon existert wirklich). Unterhalb dieses Blockwerks ist für den Fahrstraßenverschluss ein Trommelschlüsselwerk vorhanden, das die Signalschlüssel für die Einfahrsignale freigibt (Ausfahrsignale sind nicht vorhanden, stattdessen Fahrweg-Endetafeln auf jedem Hauptgleis).
  • Für das Stellen der zwei Einfahrsignale gibt es einen eigenen Stellschrank mit entsprechenden Schlüsselschaltern.
  • ... steht ein 3-feldriges Blockwerk für den Zustimmungsempfang vom Stellwerk 1 für die Ein- oder Ausfahrt auf die drei Hauptgleise – Stand heute sind das die Gleise 1, 5 und 7. Früher war Gleis 3 ein Hauptgleis, Gleis 7 aber nicht. Gleis 3 ist nun zu einem Stumpfgleis zurückgebaut, das beim neuen Mittelbahnsteig endet – daher ist Gleis 7 nun das neue dritte Hauptgleis, das wegen des "nicht unbeträchtlichen" Güterverkehrs zum und vom Schotterwerk Wanko in Meidling im Tale nötig ist.
  • ... gibt es außerdem eine kleine Überwachung für zwei EK-Anlagen (aufgebaut mit Feldern eines Alcatel-Spurplanstellwerks) sowie ein Bedienplatz für den Zugleitbetrieb.
Im Stellwerk 1 (auf der Kremser Seite) ...
  • ... befindet sich als Gegenstück ein 3-feldriges Blockwerk für die Zustimmungsabgabe für die Gleise 1, 5 und 7.
  • Zum Verschließen der Weichen hängt an einer Wand ein kleines Zentralschloss.
Nach diesem überschriftsartigen Überblick folgen nun Bilder dieser einzelnen Bestandteile der Stellwerksanlage.

Die Fahrdienstleitung


Fahrstraßen-Block mit Trommelschlüsselwerk in der Fahrdienstleitung






Signalstellschrank in der Fahrdienstleitung. Die Schlüssel für die Einfahrvorsignale bleiben übrigens i.d.R. immer gleich stehen, sie dienen nur dazu, die Vorsignale im Fall des Falles auf "Vorsicht" zu stellen.





Zustimmungsempfangs-Block in der Fahrdienstleitung: Man sieht hier das "ausgebesserte" Gleis 7, das nun anstelle des verkürzten Gleis 3 das dritte Hauptgleis ist:



EK-Überwachung in der Fahrdienstleitung


Fahrstraßenauflöse-Tasten ("FAT") sowie Schrankenüberwachung neben der Tür zur Fahrdienstleitung


Stellwerk 1


Zustimmungsabgabe-Block im Stellwerk 1


Zentralschloss im Stellwerk 1:  Auch hier ist Gl. 3 durch Gl. 7 ersetzt, und zusätzlich ist die Weiche 31, die im Fahrweg des Gleis 7 liegt und zu den Gleisen 9 und 11 führt, neu hinzugekommen – ein sicher schon sehr seltener Fall, dass an einem Zentralschloss noch Umbauten stattfinden!




Die Zusammenarbeit zwischen Fahrdienstleitung und Stellwerk 1 ist untypisch für österreichische Anlagen. Normalerweise würde der Fahrdienstleiter mit Hilfe des Bahnhofsblocks einen Befehl ans Stellwerk übermitteln, das daraufhin Weichen stellt, die Fahrstraße festlegt und ein Signal stellt. In Statzendorf ist es umgekehrt: Das Stellwerk gibt eine Zustimmung an die Fahrdienstleitung. Der Grund dafür ist, dass das Einfahrsignal aus Richtung Krems aus der Fahrdienstleitung gestellt wird. Wieso? Dazu noch ein paar örtliche Informationen:
  • Wie man an den Bildern oben sieht, ist der Fahrstraßen-Block viel jünger als die Zustimmungs-Blockwerke. Das sieht man vor allem an der Einfassung für die Sichtgläser der Blockfelder: Beim neueren Blockwerk sind sie aus Kunststoff, die alten Blockfelder haben noch die Metalleinfassung.
  • Der Bahnhof erstreckt sich auf eine ziemliche Länge, die unerwartet "um die Kurve" liegt. Das nächste Bild zeigt den Gleisplan aus dem Stellwerk 1, leider rechts ziemlich unscharf abgebildet. Der Plan stimmt nicht mehr, weil ja der südliche Teil des Gleis 3 und die zugehörige Weiche 54 nicht mehr existieren:


Das Stellwerk 1 ist hier übrigens als "Beh.Stw.1" bezeichnet, also als "Behelfsstellwerk" – es existiert aber offenbar in dieser Form schon seit mehr als 40 Jahren:


Tatsächlich ist Statzendorf mindestens einmal, aber vielleicht öfter verlängert worden, weil der Güterverkehr aus dem nahen Hartsteinwerk Wanko ziemlich umfangreich ist. Darüberhinaus gab es früher eine Feldbahn zu nahegelegenen Torfstichen (glaube ich – oder war es Tonabbau für Ziegel? Korrektur 29.12.2020: Es war ein Kohlenbergwerk!). Daher kann der Fahrdienstleiter nicht die gesamte Gleislänge überblicken, und zur Freimeldung der Gleise bei einer Einfahrt ist die Informationsübertragung aus dem Stellwerk 1 nötig. Dazu dient eben das Zustimmungsblockwerk. Die Frage ist aber eben: Wieso so, und nicht wie sonst in Österreich mit einem Befehlsblockwerk?

Als Möglichkeit 1 fällt mir ein: Im Zuge einer der Bahnhofsverlängerungen sind die Zustimmungsblockwerke entstanden. Weil damals noch keine Signale vorhanden waren, sondern nur Trapeztafeln, gab es auch keine Notwendigkeit für die Übermittlung von Befehlen (die immer zum Freistellen von Signalen auffordern und es erlauben), sondern nur für Zustimmungen (die [nur] eine Lageinformation und Freimeldung übertragen). Die Anlagen für die Fahrstraßenfestlegung und das Stellen der Einfahrsignale sind erst viel später – nach 1970? – entstanden, wahrscheinlich aus Anlagenteilen, die woanders nicht mehr benötigt wurden – insbesondere das Trommelschlüsselwerk.

Allerdings sieht man auf dem Gleisplan keine neuen, sondern ziemlich alte Einfahrsignale: Nämlich einflügelige Formsignale, mit einer Kreuztafel anstelle eines Einfahrvorsignals. Es ist daher ziemlich sicher, dass es die Einfahrsignale schon lange gab! Wieso wurde dann aber nicht wie üblich ein Befehlsblock errichtet, der dem Stellwerk 1 den Befehl für eine Einfahrtstraße und die Freistellung des Einfahrsignals gibt?

Mir fällt nur folgende Möglichkeit 2 ein: Die mechanischen Einfahrsignale wurden vor der Bahnhofsverlängerung aus einem Mittelstellwerk in (oder vor) der Fahrdienstleitung gestellt. Im Zuge des Bahnhofsverlängerung wurde daran nichts geändert, sondern nur zusätzlich das Stellwerk 1 errichtet – um eben eine Sicht auf die gesamte Gleislänge zu haben -, das dann mit dem Zustimmungsblock in die Fahrstraßensicherung eingebunden wurde. Und vielleicht ist das Trommelwerk auch schon viel länger vorhanden, wurde aber ohne Blockwerk betrieben – das dann erst mit den elektrischen Einfahrsignalen in den 70er Jahren oder später dazukam.

Wie auch immer: Es ist schon eine etwas zusammengebastelte Anlage, die auch irgendwie viel mehr Platz einnimmt, als für einen Bahnhof mit drei Hauptgleisen und ortsbedienten Weichen (und daher ohne Weichen- und Riegelhebel!) gerechtfertigt erscheint. Aber grad das macht sie ja auch interessant!

Auf dem Fahrstraßen-Block in der Fahrdienstleitung gibt es eine Bezeichnung, die ich sonst nirgends auf einem österreichischen Blockwerk gesehen habe: SV – vermutlich "Signal-Verschluss". Praktisch ist dieses Blockfeld ein Fahrstraßenauflösefeld (Fa). Die Freigabe des Feldes erfolgt, wie früher auf nicht wenigen kleinen Bahnhöfen üblich, durch Tasten neben der Tür der Fahrdienstleitung. Wieso es hier als SV und nicht als Fa bezeichnet ist, ist mir nicht klar – nebeneinanderliegende Fa- und Ff-Felder gab es auf vielen 5007er-Mittelstellwerken.

Auf dem folgenden Foto der Einfahrt aus Richtung Krems sieht man, dass hier noch eine Strecken-Fernsprechleitung steht! – das habe ich bei meinem Besuch vollkommen übersehen, und weil links schon der Kabelkanal liegt, ist das vielleicht schon in Kürze Geschichte:


Und der Fernsprecher im Stellwerk 1 ist auch aus der "guten alten Zeit":


Einige Außenanlagen in Statzendorf

Für die Fahrt von Haupt- in Nebengleise findet man auch andernorts noch schlüsselgesperrte Weichen, aber als Verzweigungsweichen von Hauptgleisen sind sie sicher nahezu ausgestorben. Hier sieht man die Weiche 1 in Statzendorf:



Das folgende Detail zeigt die Riegelstangen für die Weichenschlösser. Die Ausnehmung für die Stange der anliegenden Weichenzunge ist kurz, weil hier ja ein perfektes Anliegen geprüft werden muss. Dagegen ist die Ausnehmung zur Prüfung der abliegenden Zunge länger – erstens ist es nicht so wichtig, wo sich die abliegende Zunge genau befindet, und zweitens wird sich deren Position auch temperaturabhängig etwas verschieben:

 

Bei der Weiche 3, die ins Gleis 3 führt, sieht man, dass ein Schloss abgebaut worden ist – es muss ja nur mehr die Fahrt in die Ablenkung zu den Gleisen 5 und 7 gesichert werden, nicht aber die in das Stumpfgleis 3:


Ladegleise sind wie üblich durch Gleissperrschuhe gesichert. Hier ist der 1S (allerdings ist das zugehörige Gleis 2 momentan wegen des Baus der Unterführung unterbrochen):



Hier sieht man den "Fühlhebel", der zum Umstellen dient. Warum nicht wie bei Weichen ein Gewicht neben dem Gleis, sondern ein Bedienungshebel im Gleis? Einfach: Bei einem darüberstehenden Waggon ist es dadurch nicht möglich, den Sperrschuh aufzulegen: Der Hebel "fühlt", ob ein Waggon drüber steht.
 Die Folgeabhängigkeit zwischen Sperrschuh und Weiche ist wie üblich über die beiden Schlösser gelöst: Zum Aufsperren muss der Schlüssel aus dem Trommelschlüsselwerk entnommen und im rechten Schloss umgedreht werden; nach dem Ablegen des Sperrschuhs kann mit dem Schlüssel das linke Schloss gesperrt werden, wodurch der Sperrschuh in abliegender Stellung verschlossen und der linke Schlüssel frei ist. Mit diesem Schlüssel kann nun das Weichenschloss aufgesperrt und daraufhin die Weiche ins Ladegleis gestellt werden:


Die Weichen auf der Herzogenburger Seite stehen alle brav in Grundstellung (schwarzer Anstrich der Stellgewichte näher beim Boden), mit Ausnahme der W51 ganz hinten:


Auch die Einfahrweiche 56 steht in die Ablenkung und daher nicht in der Grundstellung – der Grund ist eine kurz bevorstehende Zugkreuzung:



Die schwarz-weiß-Trennlinie dieses Gewichts liegt, im Gegensatz zu allen anderen, schräg zum Stellhebel. Vielleicht stammt das Gewicht von einer ferngestellten Weiche, bei denen die Gewichte einen kleineren (ca. halb so großen) Winkel beschreiben. In Grundstellung wäre dann die Trennlinie ungefähr parallel zum Boden gewesen.

Hier nocheinmal die ganze Weichenstraße – wo man auch schön sieht, dass die W56 eine Weiche mit geradem Herzstück ist: Der Bogen in den Schienen, die zum Herzstück gehen, ist kein schöner Kreisbogen, sondern so "komisch verbogen". Auch gegenüber, beim Radlenker, sieht man das gerade Stück:


Das war's hier einmal mit den Anlagen von Statzendorf. Ein weiteres Posting von einer Zugkreuzung (oder wenigstens einem Teil davon) kommt bald ...