Freitag, 27. September 2024

Vom Betrieb im 19. Jahrhundert - ein Fahrplan für 1849

Eine Zugfahrt wollte ich fahren lassen ... aber nein, vorher will ich mich um meine (oder von Damitz') Eisenbahn betrieblich etwas genauer kümmern. Dazu gehört insbesondere ein Fahrplan einerseits, und Gleispläne andererseits.

Zu den Zügen, die er auf die Reise schicken will, gibt Damitz uns auf S.92 ziemlich genaue Angaben, aus denen er den Personalbedarf herausrechnet: Es geht ihm ja um die Finanz-Berechnung einer Eisenbahn – das Personal kostet dabei nicht nur Gehalt, sondern auch Uniformen – mehr dazu vielleicht in einem anderen Posting. Hier einmal der Beginn seiner Verkehrs- und Fahrplanbetrachtungen:

Ist die Zahl der täglich gehenden Züge festgesetzt, bei kürzeren Touren zwei und mehr Personen- und ein bis zwei Güterzüge, bei sehr langen Bahnen und Mangel an volkreichen Städten möglichst nur ein Personen- und ein oder zwei Güterzüge (wogegen an den End- oder Mittelstationen vielleicht Localzüge eingelegt werden) — so wird die Berechnung des erforderlichen Fahrpersonals mit Rücksicht auf angemessene Ruhezeit nicht schwer sein. Die Bahn ist z. B. 20 Meilen lang, der eine Personenzug geht um 7 Uhr aus einer Endstation ab, hat à 12 Minuten pr. Meile 4 Stunden Fahrzeit usw.usf.
Daraus will ich hier einen graphischen Fahrplan skizzieren. Vorher will ich aber noch ein paar Beispiele für damalige Fahrpläne zeigen; sie sind aus dem ersten Jahrgang 1843 der wöchentlich(!) erscheinenden "Eisenbahn-Zeitung", die man hier downloaden kann (die Zeitung wurde aber ganz schnell ein Blatt über Finanzen und Gesetze, Fahrpläne kommen später nicht mehr vor, soweit ich sehe):





Man sieht daraus mehrerlei:
  • Diese veröffentlichten Fahrpläne waren nur auf Viertelstunden genau (die Herzoglich Braunschweigschen Eisenbahnen haben allerdings damals schon auf 5 Minuten genau ihre Zeiten angegeben); und die Gesamtfahrzeit wurde nur grob versprochen ("3 bis 4 Stunden" steht im ersten Beispiel ...).
  • Die Anzahl der Züge ist teils wirklich so gering, wie Damitz vorschlägt; manche Eisenbahnen fahren aber schon 5 oder 6 Züge je Richtung am Tag.
  • Das Format der Fahrpläne ist deshalb teils noch sehr textlastig, "postkutschenartig"; aber einige Eisenbahnen beginnen schon, tabellarische Fahrpläne anzugeben, die das werte Publikum dann wohl auch "lesen lernen" musste.
  • Und zuletzt: Güterzüge befördern auch Personen, wenn das nicht ausgeschlossen wird!
Wenn mein Fahrplan fertig ist, werde ich ihn auch in eine solche Form gießen. Aber zuerst muss ich ihn einmal entwickeln ...

... los geht's! – kariertes Papier herausholen, Bleistift spitzen, Radiergummi vorbereiten! Unsere Strecke ist 20 Meilen lang, das sind 150 km (ich plane lieber mit vertrauten Einheiten; Meilen und Ruthen sind doch etwas ungewohnt); und Betriebszeit haben wir von 6 in der Früh bis knapp vor 10 am Abend. Der leere Plan beginnt also so:


Acht Stationen gibt es, die beiden Endstationen mit eingerechnet. Ich ordne die sechs Zwischenstationen einmal etwas willkürlich an, damit erhalten wir die Leervorlage für den graphischen Fahrplan:


Nun beginnen wir die Züge einzupassen. Für den ersten Zug schreibt Damitz:
... der eine Personenzug geht um 7 Uhr aus einer Endstation ab, hat à 12 Minuten pr. Meile 4 Stunden Fahrzeit und auf 6 Zwischenstationen ½ Stunde Aufenthalt, ist also 11½ Uhr am Bestimmungsorte.
Die halbe Stunde teilt sich also in 6 Aufenthalte; einer davon wird zum Lokwechsel verwendet ("In Bezug auf die Locomotiven, so läßt man dieselben ungern eine Strecke von 20 Meilen in einem fort gehen, sucht also, wenn irgend möglich, auf der Mitte des Weges zu wechseln") und dauert daher vielleicht eher 10 Minuten, die anderen fünf dann jeweils 4 Minuten, jeweils inklusive der Fahrzeitverluste durch Bremsen und Anfahren. Ich hätte auch vermutet, dass jede der zwei halben Strecken auch noch einmal Wassernehmen braucht, bei den kleinen Tendern damals. Daher kommt mir das alles eher knapp gerechnet vor, für einen Technik, die grade in Entwicklung ist; aber vielleicht ist in der Fahrzeit von 4 Stunden auch einiges an Pufferzeit enthalten.

Ich markiere als erstes Abfahrts- und Ankunftszeit in den Endstationen (und weil ich's absichtlich nicht sehr genau nehme, mach ich das mit größeren "Knöpfen"):


Um die Neigung der Fahrgeraden herauszufinden, ziehe ich eine Linie zur "4-Stunden-Ankunft", also ohne jeden Aufenthalt. Den letzten Fahrtabschnitt, der um "11½" in F endet, zeichne ich nun (weil mit eben dieser Geschwindigkeit) parallel dazu. Mit freiem Auge markiere ich die 4-Minuten-Aufenthalte; der Aufenthalt bei B ist der ein wenig längere, weil wir (das kommt später) dort die Lok tauschen werden:


Verbinden der Aufenthalte mit parallelen Linienstücken liefert den graphischen Fahrplan des ersten Zuges:


Weiter geht's mit Damitz' Text:
Um 5 Uhr geht der Zug wieder fort und ist 9½ Uhr zurück.
Gesagt, getan: Abfahrt und Ankunft markiert, Netto-Fahrgerade eingezeichnet ...


... und vervollständigt:


Für die Gegenrichtung gibt es i.W. dasselbe Fahrprogramm:
Ein zweiter Zug geht aus der anderen Station Morgens 6 Uhr ab und ist wie jener um 9½ Uhr zurück. Die Züge kreuzen auf der Mitte des Weges ...
... was nicht ganz funktionieren kann, da der Zug in G um 7 Uhr abfährt, der andere in F aber schon um 6: Die Kreuzung passiert also (wenn man eine halbwegs ebene Bahn voraussetzt) etwas "links der Mitte". Mein Bahnhof B liegt halbwegs passend, und damit ergibt sich der folgende Fahrtverlauf:


Bei der Rückfahrt wird sich's aber nicht ausgehen: Er schreibt, beide Gegenzüge seien um "9½ Uhr zurück". Dann müssten, oder sollten, sie sich aber genau in der Mitte treffen – ok, ich hätte dort auch einen Bahnhof platzieren können, hab ich aber nicht. Die Konsequenz ist, dass der vierte Zug entweder, für eine Kreuzung auch in B, später abfährt; oder etwas früher, für eine Kreuzung in C. Ich entscheide mich für das zweite:


Der rote Pfeil gibt die Verschiebung der Abfahrt ab; und orange ist die Kreuzung markiert, wo ich dem vierten Zug einen längeren Aufenthalt gebe, damit er wie gewünscht um "9½ Uhr" in F ist.

Der nächste Zug ist ein "Güterzug", also wie oben beschrieben ein "GmP":

Der Güterzug geht aus jeder Station etwa um 9 Uhr und ist nach 6 bis 7 Stunden an der Endstation.
Schon auf der ersten Station muss der, der in G losfährt, etwas länger halten – oder rangieren! –, weil er mit dem aus F kommenden Personenzug kreuzt. Danach geht's dann gemütlich weiter bis ans andere Ende:


Mit dem Gegenzug dazu wird's allerdings schwierig: Die Fahrgerade, die um 9 Uhr in F beginnt, schafft es nicht rechtzeitig bis D, und dann auch nicht bis B:


Ein Abwarten jeweils in der Station davor würde aber zu stundenlanger Herumsteherei führen. Daher ignoriere ich auch hier Damitz' Abfahrtswunsch und lasse den Güterzug schon um 8 in F abfahren – dann geht sich's (etwas knapp) aus:


Vervollständigt um den restlichen Fahrtverlauf, kommt man zu einer Fahrzeit von 6½ Stunden:


Und das war's dann auch! Viel mehr Züge kriegt man da aber nicht unter, meine ich – eine eingleisige Strecke mit so wenigen Kreuzungsstationen ist schon eher hinderlich im Betrieb. In den Anfängen war allerdings noch nicht mit viel Verkehr zu rechnen, weil die sich beschleunigende Wechselwirkung mehr Verkehr(smöglichkeiten) → mehr wirtschaftliche Entwicklung → mehr Verkehr ... erst in Gang gebracht werden musste.

Lassen wir's einmal dabei, und gießen den Fahrplan in eine für das allgemeine Publikum auch lesbare Form (die ich hier nicht ganz ausgefüllt habe):


Beim nächsten Mal lassen wir dann aber einen Zug fahren!