Beschreibungen von Abläufen in Sicherungsanlagen sind notorisch schwierig. Vielleicht schreibe ich irgendwann eine Übersicht über Beschreibungen, die ich in Büchern angetroffen habe – leicht verständlich ist keine davon. Ich werde da auch nichts großartig Neues erfinden, aber vielleicht hilft meine tabellarische Notation dem einen oder anderen, manche solchen Abläufe zu verstehen.
Prinzipiell lassen sich die Vorgänge in einer Sicherungsanlage oder eines Ausschnitts davon durch übliche Zustandsdiagramme ("state diagrams") beschreiben (wer sich im Detail für die Grundlagen interessiert, kann das Internet nach "Harel state charts" oder auch "UML state diagrams" durchforsten). Die große Kunst bei der Konstruktion von verständlichen Zustandsdiagrammen ist, die richtigen Einheiten zu finden, deren Zustände man darstellt. Und hier gibt es bei Sicherungsanlagen einen Zielkonflikt:
- Einerseits möchte man aus Verständlichkeitsgründen die einfachen Zustände der Anlagenteile darstellen (Komponentenzustände) – also zum Beispiel die Zustände "frei" und "halt" für ein Signal, "links" und "rechts", aber auch "verschlossen" und "nicht verschlossen" für eine Weiche usw.
- Andererseits sind die Teile einer Sicherungsanlage in der Regel so stark gegeneinander verriegelt, dass nur ganz wenige Anlagenzustände vorkommen können – sodass für die korrekte Beschreibung und auch das Gesamtverständnis eigentliche diese Zustände gewählt werden sollten.
Folgeabhängigkeit für ein Hauptsignal mit Vorsignal
Am vermutlich einfachsten Beispiel überhaupt, nämlich einem mechanischen Blocksignal mit seinem Vorsignal, zeige ich zuerst die Darstellung der Zustände als klassisches Zustandsdiagramm. Prinzipiell kann das Hauptsignal "Frei" und "Halt" zeigen, das Vorsignal "Hauptsignal frei" und "Vorsicht". In Kombination ergeben sich 2 · 2 = 4 Zustände. Tatsächlich muss aber der Zustand, dass das Hauptsignal "Halt" zeigt, das Vorsignal aber "Hauptsignal frei", verhindert werden (über was für eine Mechanik auch immer). Das Gesamtsystem hat also drei mögliche Zustände (Anlagenzustände):
Die möglichen Übergänge zwischen den Zuständen werden natürlich durch das Stellen der jeweiligen Hebel bewirkt:
Diese Darstellung ist zwar standardisiert (u.a. durch die "Object Management Group"), allerdings ist sie ziemlich unhandlich: In jedem Anlagenzustand müssen alle Komponentenzustände beschrieben werden. Da ein Übergang zwischen Anlagenzuständen aber nur wenige Komponentenzustände ändert, entsteht eine Darstellung, die die wichtige Information durch viele Selbstverständlichkeiten zudeckt.
Hier ist eine tabellarische Beschreibung desselben Systems:
Die tabellarische Beschreibung der Zustände spart gegenüber dem Zustandsdiagramm einige Elemente ein, um die Übersicht zu fördern:
- Die Übergänge werden nicht explizit über Pfeile dargestellt. Stattdessen gilt, dass jede Zeile (Anlagenzustand) in den Zustand der vorherigen oder nachfolgenden übergehen kann.
- Die Komponentenzustände, die sich bei einem Übergang ändern, werden durch eine strichlierte Linie hervorgehoben.
- Wenn sich zwischen zwei Anlagenzuständen ein Komponentenzustand nicht ändert, wird er nicht nocheinmal notiert. Insbesondere diese Konvention ergibt bei größeren Tabellen viele leere Zellen und damit eine verbesserte Übersicht.
- Die lineare Darstellung ermöglicht die Ergänzung von durchlaufenden Ablaufbeschreibungen neben den Zuständen.
Darüberhinaus enthalten Zustandsdiagramme auch keine "Wirkzusammenhänge", also Aussagen darüber, welche Komponenten welche anderen Komponenten "mitumschalten". Vielleicht finde ich einmal Zeit, die Notationen für solche komplexeren Erklärungen aus diverser Stellwerksliteratur zusammenzustellen ...
Folgeabhängigkeit für einen Sperrschuh samt Anschlussweiche
Wie versprochen, folgt hier ein komplizierteres Beispiel einer Folgeabhängigkeit, nämlich zwischen
- einer Knagge an einem Befehlswerk,
- einem Gleissperrschuh an einem Anschluss- oder Ladegleis
- und der Weiche, die in das Anschlussgleis führt.
Hier sieht man eine solche Situation (allerdings ist der Sperrschuh hier nicht schlüsselgesperrt, sondern mit einem Riegel verschlossen). Der Sperrschuh rechts ist abgelegt (oder "offen"), im Hintergrund kommt der Verschieber gerade von der Weiche zurück, die er ins Anschlussgleis gestellt hat:
Anschlussbahn, Neudörfl, 4.10.1986
Prinzipiell müssen in dieser Anlage folgende Zustände verhindert werden:
- Die Knagge (oder eine entsprechende andere Freigabe) erlaubt die Einstellung von Zugfahrten, trotzdem ist der Sperrschuh in abliegender Stellung: Dann erfüllt der Sperrschuh nämlich nicht seine Flankenschutzaufgabe!
- Der Sperrschuh ist in aufliegender Stellung, trotzdem steht die Weiche in das Ladegleis: Dann kann nämlich eine Verschubfahrt oder sogar Zugfahrt auf den Sperrschuh auffahren.
Beim zweiten Punkt sind manche Bahnen anderer Meinung: Wenn eine Entgleisungseinrichtung in Zugfahrstraßen liegt (was z.B. in Neuseeland und England, aber auch in der Schweiz zulässig und teilweise sogar gefordert ist), dann soll der Zustand verhindert werden, wo die Entgleisungseinrichtung zur abweisenden Weiche führt – dadurch soll das Auffahren der Weiche ausgeschlossen sein. Bleiben wir aber bei österreichischen Bedingungen!Wenn sowohl Sperrschuh als auch Weiche ortsbedient sind, dann werden beide häufig durch Schlösser gesichert (seltener werden auch wie im Bild oben geriegelte Sperrschuhe verwendet).
Ein Schloss mit Schlüssel hat in der Sicherungstechnik einen anderen Zweck hat als ein Türschloss: Es soll nicht nur eine Komponente festlegen (wie das gesperrte Schloss die Tür), sondern auch den Schlüssel nur in einem der Komponentenzustände freigeben. Beim Türschloss ist das nicht so: Den Schlüssel kann man sowohl bei offener Tür wie auch bei versperrter Tür abziehen. Anders funktioniert das aber z.B. bei Schlössern von Schließfächern: Dort kann man den Schlüssel nur abziehen, wenn das Fach versperrt ist. Insofern ist der Besitz des Schlüssels ein Beweis dafür, dass das Fach im Zustand "versperrt" ist. Solche "Zustandsbeweise" sind offensichtlich in Sicherungsanlagen ganz wichtig, weil man dadurch eben Folgeabhängigkeiten erreichen kann, wie wir gleich sehen werden.
In einer üblichen Folgeabhängigkeit von Gleissperrschuh und Anschlussweiche sind folgende Einrichtungen vorhanden:
- Am Stellwerk:
- Eine Knagge an einem Befehlswerk oder Stellwerk, die die Abhängigkeit zu anderen Funktionen herstellt – z.B. der Einstellung von Zugfahrstraßen.
- Ein Schloss am Schieberkasten, das bei aufrechter Knagge einen Schlüssel freigibt.
- Am Sperrschuh:
- Ein Schloss, das den Sperrschuh freigibt.
- Der Sperrschuh, der von einem Hebel ("Fühlhebel") umgestellt wird.
- Ein weiteres Schloss, das den Schlüssel für die Weiche enthält.
- An der Weiche:
- Ein Schloss, das die Weiche freigibt.
- Der Weichenantrieb.
Für Perfektionisten: Ich habe das Bild des Sperrschuhs gespiegelt – eigentlich wird zuerst das rechte Schloss entsperrt, dann der Sperrschuh abgelegt und schließlich der Weichenschlüssel aus dem linken Schloss entnommen. Dann wäre aber der schöne "diagonale" Ablauf durcheinander gekommen ...Klick auf das Diagramm öffnet es als größeres PDF.
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