Freitag, 3. Januar 2014

Nene Valley Railway - das Stellwerk in Wansford, 2013

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Nach der Epping-Ongar Railway führte mich mein nächster Stellwerksbesuch zum "Hauptbahnhof" Wansford der Nene Valley Railway westlich von Peterborough. Hier ist ein Bild des Stellwerks dieses Bahnhofs:

Stellwerk hinter den Toren des Bahnübergangs, Wansford (NVR), 22.8.2013

Hier sieht man die lange Hebelbank:

Hebelbank, Wansford (NVR), 22.8.2013

Am ganz rechten Ende dienen vier Hebel zum Schließen der "Tore" des Bahnübergangs.
Englische Bahnübergänge sperrten ja lange Zeit die Schienen ab, wenn der Straßenverkehr freie Fahrt hat. Der Grund ist nicht, wie man glauben könnte, dass die Züge an ihrer Fahrt gehindert werden – dazu waren Züge immer schon viel zu schnell. Der hauptsächliche Grund ist, dass man bei Toren damit rechnen muss, dass die Straßenbenutzer knapp vor den Toren stehenbleiben – ein Öffnen in Richtung Straße wäre dann nicht mehr möglich, daher werden sie Richtung Gleis geöffnet. Daneben werden Straßenbenützer auch daran gehindert, die Gleise zu betreten. Mittlerweile findet man aber in England immer mehr Voll- und Halbschranken.
Die zwei äußersten Hebel schließen direkt die Tore für Fußgänger, während die zwei nächsten eine Verriegelung der großen Tore für den Straßenverkehr bewirken (zum Öffnen und Schließen dieser Tore dient wie auf vielen Stellwerken ein großes Rad, das dem Steuerrad eines Schiffes ähnlich sieht – man sieht es im nächsten Posting). Die Nummern der Hebel gehen auf dieser Hebelbank bis 60 – tatsächlich hat das Stellwerk aber weniger Hebel, weil bei seinem Aufbau auf dieser Museumsbahn der linksäußerste "Schuss" nicht mehr nötig war. Die Hebelnummern beginnen daher bei 17, und verwendet werden erst die Hebel ab 22 ("up first home", also äußeres Einfahrsignal aus Richtung Peterborough):

Hebel für Bahnübergang, Wansford (NVR), 22.8.2013

Hier sieht man die Signalhebel für die westliche Bahnhofsseite Richtung, also Richtung Yarwell Junction. Zwischen den Signalhebel befindet sich ein blau-brauner Hebel, der die örtliche Hebelbank (den "ground frame") beim Heizhaus verriegelt. An seinem abgeschnittenen Griff erkennt man, dass es sich hier um eine elektrische Verriegelung handelt. Am Fuß der Hebel kann man einen größeren Abstand zwischen den Hebel 45 und 46 erkennen. Es scheint, dass diese Stellwerkstype aus "Schüssen" von jeweils 15 Hebeln aufgebaut ist, die dann nebeneinander installiert werden. Das passt genau mit der höchsten Hebelnummer 60 zusammen (4 Schüsse), aber es erklärt nicht, wieso die Hebel bei 17 beginnen: Offenbar ist der Schuss 1...15 nicht installiert worden – aber irgendwo unterwegs ist auch der Hebel 16 verlorengegangen ...

Rechte Seite der Hebelbank, Wansford (NVR), 22.8.2013

Hier sind die Hebel für das Ausfahrsignal ("up starter") und das Verschubsignal am Hauptgleis Richtung Westen nach Yarwell Junction. Daneben sieht man einen Hebel 35 mit der Bezeichnung "interlocking lever" – "Sperrhebel". Der Hebel hat früher zwei Weichen zwischen den Bahnsteiggleisen umgestellt; die zwei Weichen machten aber – vor allem im Winter – immer wieder Probleme und wurden daher ausgebaut. Damit aber kein Umbau im Schieberkasten nötig war, wurde der Hebel "leer" in der Sperrenlogik des Stellwerks belassen.
Die englische Kaskadenlogik für mechanische Stellwerke ist ungemein projektierungsunfreundlich – insbesondere bei Spurplan-Änderungen führt das dazu, dass man manchmal lieber Hebel wie ursprünglich belässt, statt die Anlage korrekt umzubauen. Irgendwann erkläre ich einmal diese Projektierung (und die englische Signal-Philosophie) anhand der alten Bücher, die's darüber gibt – das funktioniert schon fundamental anders als unsere Fahrstraßen-Sicht auf die Stellwerksprojektierung ...

Signalhebel, Wansford (NVR), 22.8.2013

Die folgenden Bilder zeigen die Gleisanzeigetafel, die oberhalb der Hebelbank hängt. Man sieht, dass auf der Westseite einige Gleise, die vom Stellwerk aus nicht einsehbar sind, mit Gleisstromkreisen versehen sind – alle anderen Gleise müssen durch Hinschauen auf Freisein geprüft werden:

Rechte Seite Gleisanzeigetafel, Wansford (NVR), 22.8.2013

Mitte der Gleisanzeigetafel, Wansford (NVR), 22.8.2013

Auf der Gleistafel ist links ein Höhenprofil der Strecke aufgezeichnet, mit den alten Längeneinheiten "miles" und "chains" (eine "chain" ist ca. 20 Meter, 80 "chains" sind eine Meile). Man kann hier auch sehen, dass die Weichen zu einem Seitengleis nicht mehr ins Stellwerk eingebunden sind, sondern die Zungen durch Zwingen ("clamps") festgelegt sind:

Linke Seite der Gleisanzeigetafel, Wansford (NVR), 22.8.2013

Viele Hebel auf diesem Stellwerk sind nicht nur mechanisch gegen andere Hebel verschlossen, sondern elektrisch. Auf dem nächsten Bild sieht man eine Reihe von elektrischen Festlegungen. Man kann erkennen, dass die meisten Hebel nur in der Grundstellung elektrisch festgelegt werden können, weil die entsprechenden Sperrbalken am hinteren Ende keinen Ausschnitt haben, mit dem sie im elektrischen Schloss festgelegt werden könnten. Die "Festlegeschieber" zweier Hebel aber, nämlich des vierten und des zehnten, haben aber Ausnehmungen auch zur Festlegung in der umgelegten Stellung. Wozu? Wenn man die Signalhebel herunterzählt, dann findet man heraus, dass der vierte Hebel jener zur Freigabe der Ortsbedienung ("ground frame") ist – der natürlich in der umgelegten Stellung festgehalten werden muss, wenn dort der entsprechende Freigabehebel ("release lever") umgelegt ist, sodass dort Weichen umgestellt werden können. Den Grund für den zehnten Hebel darf der geneigte Leser selbst versuchen herauszufinden!

Übrigens tragen viele der elektrischen Verschlüsse hier das Kürzel "SGE", was eine Abkürzung für Siemens and General Electric Railway Signal Co., Ltd. ist. Siemens hat also tatsächlich in England Einrichtungen für Signalanalgen hergestellt! Allerdings hat Siemens im Gegensatz zu Mitteleuropa hier niemals bestimmt, wie die elektrischen Schaltungen und auch die Anforderungen an Eisenbahnsicherungsanlagen auszusehen haben:

Elektrische Verschlüsse und Hebelfallenkontakte, Wansford (NVR), 22.8.2013

Über den elektrischen Verschlüssen befindet sich eine ganze Reihe von Hebelfallenkontakten. Diese Kontakte sind Anschaltekontakte für Prüfstromkreise der elektrischen Verschlüsse – sie haben den Zweck, diese Prüfstromkreise nur anzuschalten, wenn der entsprechende Hebel umgestellt werden soll, um möglichst die Batterien zu schonen. Diese Kontakte sind aber daher auch nicht sicherheitskritisch (ein nicht zurückfallender solcher Kontakt wird höchstens die Stromversorgung belasten), und daher sind sie auch nicht zwangsgeführt:

Hebelfallenkontakte, Wansford (NVR), 22.8.2013

Wie die EOR verwendet auch die NVR zur Blocksicherung der eingleisigen Strecken (noch?) nicht die Tyer-Blockinstrumente, sondern nur einen einfachen Schlüssel für jeden der beiden Streckenabschnitte westlich und östlich von Wansford. Hier ist der "Annett's key" (so benannt nach seinem Erfinder) für die Strecke nach Yarwell. Der Verschluss mit dem Stellwerk erfolgt hier mechanisch:

"Annett's key", der hier als "staff" für die Blocksicherung verwendet wird , Wansford (NVR), 22.8.2013

Der Schlüssel für den Abschnitt nach Peterborough ist hingegen mit dem Stellwerk elektrisch verbunden:

Blockschlüssel-Schloss Richtung Peterborough, Wansford (NVR), 22.8.2013

Hier sieht man den umgestellten Weichenhebel 43, mit dem die elektrischen Weichen 43A und 43B bedient werden:

Weichen- und Riegelhebel 43 ist umgestellt, Wansford (NVR), 22.8.2013

Englische Signale werden traditionell mit einem einzelnen Signaldraht auf Frei gezogen. Das macht es sehr schwierig, Einrichtungen zur Temperaturkompensation der Längenausdehnung dieser Signaldrähte zu konstruieren. Deshalb ist es in britischen Stellwerken üblich, für weiter entfernte Signale (ab etwa 500 Metern) eigene Kurbeln vorzusehen, mit denen der Stellwerker die Drahtlänge in Grenzen verändern kann.
Damit könnte der Stellwerker allerdings durch zu starkes Verkürzen des Signaldrahtes, vor allem im Winter, einen Signalflügel unbeabsichtigt so hoch heben (oder, bei "lower quadrant"-Signalen, so weit senken), dass das Signal von einem Lokführer als freistehend interpretiert werden würde. Um das zu verhindern, sind alle solchen Signale mit Flügelstromschließern ausgerüstet, und am Stellwerk wird durch ein Spiegelfeld angezeigt, ob der Flügel in eine Endlage steht oder womöglich in einer undefinierten Zwischenposition (üblicherweise mit "wrong" gekennzeichnet). Offenbar wurde den Stellwerken nicht so weit misstraut, dass man angenommen hätte, dass sie diese Einrichtung zum Vortäuschen einer Freistellung verwenden würden.

Update: Ein wenig Diskussion zu diesem Thema gibt es in diesem (englischen) Forumsthread.
Hier sieht man so eine Spann-Einrichtung – diese hier verkürzt oder verlängert alle Signaldrähte der weit draußen liegenden Signale gemeinsam (in anderen Stellwerken gab es solche Einrichtungen jeweils für einzelne weiter entfernte Signale):

Signaldraht-Anpassung mit aufgestecktem Schlüssel, Wansford (NVR), 22.8.2013

Signaldraht-Anpassung mit aufgestecktem Schlüssel, Wansford (NVR), 22.8.2013

Unter dem Blockaufsatz befindet sich eine Reihe von Signalanzeigern (was bei uns "Spiegelfelder" hieß). Hier sieht man den für das entfernteste Signal, das "up first home signal" (sonst üblicherweise als "outer home" bezeichnet), also das Einfahrsignal aus Richtung Peterborough. Wie oben erklärt, dient dieser Anzeiger auch dazu, sicherzustellen, dass beim Kürzen oder Längen des Stelldrahtes der Signalflügel in einer gültigen Lage bleibt:

Signalanzeiger, Wansford (NVR), 22.8.2013

Glocke und Signalanzeiger, Wansford (NVR), 22.8.2013

Auf der Rückseite des Stellwerks enthalten einige Schränke Relais für diverse Prüf- und Gleisstromkreise:

Relais, Wansford (NVR), 22.8.2013

Relais, Wansford (NVR), 22.8.2013

Und hier steht ein Tyer-Blockinstrument, das auf seine zukünftige Verwendung wartet:

Derzeit funktionsloses Tyer-Blocksinstrument, Wansford (NVR), 22.8.2013

Im nächsten Posting über die NVR zeige ich, wie ein Zug aus Peterborough ankommt und dann Richtung Yarwell weiterfährt – inklusive einiger Videos!

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