Samstag, 19. Dezember 2015

Mechanische Sicherungsanlagen der Niederlande - eine interessante Mischung aus "England", "Deutschland" und "Österreich"!

English version of this posting

Dieses und die folgenden sechs Postings beschäftigen sich mit den alten, mechanischen Sicherungsanlagen der Niederlande. Ich stelle hier die Links dorthin alle zusammen, damit es eine gemeinsame Einstiegsseite gibt:
Die folgenden zwei Postings enthalten Bilder, die ich dankenswerterweise von Andrew Waugh erhalten habe:

Die Niederländischen Staatsbahnen (NS) haben heute kein einziges mechanisches Stellwerk und auch kein Formsignal mehr in Betrieb – aber im Urlaub habe ich dieses Jahr die "Zud-Limburgse Stoomtrein-Maatschappij" – auf deutsch "Süd-Limburgische Dampfeisenbahngesellschaft", abgekürzt ZLSM – ganz im Süden der Niederlande besucht, die noch auf zwei Bahnhöfen solche Stellwerke samt Formsignalen betreibt, eines in Wijlre-Gulpen sowie ein Befehlswerk und zwei Endstellwerke in Simpelveld. Obwohl die Anlagen für den Museumsbahn-Betrieb ein wenig umgebaut wurden, zeigen sie doch viele wichtige Merkmale der früheren holländischen Eisenbahnsicherungstechnik – die erstaunlicherweise eine etwas "schräge" Mischung aus deutschen, österreichischen und englischen Komponenten war! Für jene Eisenbahn- und vor allem auch Signalanlagen-Interessierte, die über die Grenzen ihres jeweiligen Landes hinausschauen wollen, will ich hier einmal diese interessante Kombination zu beschreiben versuchen.

Herzlich möchte ich mich beim Fahrdienstleiter am post T und Stellwerker am post I in Simpelveld bedanken, die mir die Möglichkeit gaben, viele Fotos zu schießen; und auch einiges an Erklärungen lieferten!

Stellwerkswärter und Hebelbank, post I, Simpelveld, 17.8.2015

Die NS und ihre zwei großen Vorläufer, die HSM und die SS, waren im Verein deutscher Eisenbahnverwaltungen (VDEV) organisiert, wie man u.a. im entsprechenden Eintrag im Röll von 1912 nachlesen kann:
[Das Vereinsgebiet] umfaßte fortan unter Berücksichtigung einiger späterer Ergänzungen das Deutsche Reich, die österreichisch-ungarische Monarchie, das Königreich der Niederlande, das Großherzogtum Luxemburg (und das inzwischen wieder ausgeschiedene Königreich Rumänien) als sog. engeres Vereinsgebiet, während Eisenbahnverwaltungen, die mit ihren Strecken außerhalb dieses Gebiets liegen, das weitere Vereinsgebiet bilden. Aus nachfolgender Zusammenstellung ist die Entwicklung des Vereinsnetzes in der Zeit von 1880–1914 zu ersehen:
Wie aber schon erwähnt, sind doch eine ganze Menge von technischen und organisatorischen Merkmalen im Bereich des Signal- und Sicherungswesens in den Niederlanden ziemlich "nicht-deutsch", andere aber genuin mitteleuropäisch. Ich schreibe hier einmal eine Liste von vierzehn Themenbereichen hin, die ich dann jeweils kurz mit Text und Bildern (oder Links dazu) beleuchten will, und auch gleich, welche "Sicherungsanlagenkultur" ich für den jeweiligen Bereich als die Näheste ansehe (was natürlich eine subjektive Sicht auf die Dinge ist):
  • a) Formsignale: Wegesignalisierung = "englisch"
  • b) Verantwortungsaufteilung: Fahrdienstleiter + Endstellwerke = "österreichisch"
  • c) Stellwerkslogik: Fahrstraßenlogik = "mitteleuropäisch"
  • d) Hebelbänke: neben anderen sehr häufig "Siemens & Halske" - tatsächlich deren Bauform 3414 = "österreichisch"; "englisch" ist allerdings die Bedienung mit Tuch!
  • e) Blockapparate: Siemens, "deutsche" Variante
  • f) Streckenblock: Felderstreckenblock = "mitteleuropäisch"
  • g) Streckenblock: Entkoppelt von Bahnhofsblockung = "deutsch"
  • h) Eingleisiger Streckenblock: Einzelerlaubnis = "mitteleuropäisch"
  • i) Mechanische Antriebe für Signale und Weichen: mit Doppeldrahtzug, ohne Spannwerke = "österreichisch"
  • j) Weichen: ohne Außenspitzenverschlüsse = (vom Aussehen her) "englisch"
  • k) Weichenantriebe: nicht auffahrbar = "mitteleuropäisch"
  • l) Ortsbediente Weichen: mit Gewichtshebel = "mitteleuropäisch"
  • m) Mechanische Antriebe für Signale: "Oder" teils am Signalantrieb = "englisch" ("Slotting")
  • n) Bahnübergänge: Schranken = "mitteleuropäisch", aber nicht selten über Hebel bedient = "englisch"
Korrektur 8.2.2016: Nach genauerem Hinschauen in diesem Posting sind die niederländischen Weichenantriebe doch auffahrbar!

Informationen über die Grundlagen der niederländischen Formsignale und Sicherungsanlagen habe ich von vier Websites zusammengesammelt – alle sind nur auf Niederländisch verfügbar, das sich allerdings mit etwas Geduld und einem Wörterbuch für besondere Worte ganz gut ins Deutsche übersetzen lässt:
  • Die erste Website ist seinarm.nl, die die verschiedenen Signale und ihren Einsatz ziemlich ausführlich beschreibt. Im Folgenden werde ich einige Erklärungen von dort auf deutsch zusammenfassen. Aus Copyrightgründen werde ich keine Bilder dieser Website einbinden, sondern nur Links auf dortige Seiten setzen.
  • Die zweite Website beschäftigt sich mehr mit den Sicherungsanlagen, sie heißt http://www.klassiekebeveiliging.com/. Interessant ist diese Seite, die die Signalisierung von Simpelveld vor dem Museumsbahnbetrieb zeigt.
  • Zuletzt gibt es auf der Seite www.nicospilt.com unter "Seinreglementen" (also "Signalvorschriften") eine Reihe von Informationen, darunter eine eingescannte Signalvorschrift von 1934.
  • Außerdem stehen einige Informationen in der holländischen Wikipedia.
Aber nun zu den ersten Punkten aus der Liste!


a) Niederländische Formsignale: Wegesignalisierung = "englisch"


Prinzipiell beruhte das Form-Hauptsignalsystem der Niederlande auf der Wegesignalisierung: Für jedes Hauptgleis, das von einem Signalstandpunkt aus erreichbar war, wurde ein eigener Signalflügel aufgestellt, in der Regel auf einem Ausleger (die holländischen Lichtsignale dagegen verwenden die modernere Geschwindigkeitssignalisierung). Allerdings waren die Wegesignale oder – korrekter – Verzweigungssignale streng getrennt von den einfacheren Einzelsignalen, die als Block- und Ausfahrsignale, in vielen Fällen aber auch als Einfahrsignale verwendet wurden.

Die folgenden Signalskizzen habe ich aus dem niederländischen Wikipedia-Artikel über Formsignale übernommen.

Bei den Einzelsignalen hatten Vorsignal und Hauptsignal jeweils einen Flügel. Diese Signale konnten folgende Begriffe anzeigen:
  • Vorsignal (voorsein): "onveilig" ("unsicher", "langsam", d.h. Hauptsignal steht auf Halt) mit abwärtszeigendem Flügel; und "veilig" ("sicher", "Frei", d.h. Hauptsignal zeigt Frei) mit aufwärtszeigendem Flügel:

  • Hauptsignal (hoofdsein): "onveilig" ("unsicher", d.h. Halt) mit waagrecht stehendem Flügel; und "veilig" ("sicher", also Frei) mit aufwärts stehendem Flügel:

Hier sieht man drei einarmige Ausfahrsignale in Simpelveld:

Ausfahrsignale C1, C2 und C3RK, Simpelveld, 17.8.2015

Auf dem folgenden Bild sieht man das Einfahrsignal D und das zugehörige Vorsignal Dv in Wijlre-Gulpen von hinten:

Einfahrsignal D und Einfahrvorsignal Dv in Wijlre-Gulpen, 17.8.2015

Bei Verzweigungen standen gemäß der Wegesignalisierung mehrere Signale nebeneinander auf einem "Cantilever", also einer Auslegerbrücke auf einem einfachen Masten. An einem solchen Verzweigungssignal waren die Signalflügel vorne mit einem "Schwalbenschwanz" versehen. Die Höhe des Signals gab dabei die zulässige Geschwindigkeit an: Die hoch angeordneten Flügel erlaubten Fahrt mit Streckengeschwindigkeit, niedriger angeordnete nur mit 45 (oder teils 40) km/h. Bei Verzweigungssignalen wurde aus Aufwands- und Sichtbarkeitsgründen nicht immer für jedes Gleis ein eigener Flügel angeordnet – in der Regel zeigte ein Flügel für abzweigende Gleise die Fahrt in ein Gleis einer ganzen Gruppe an (das ist analog zur österreichischen Wegesignalisierung vor 1930). Daher wurden auch maximal vier solche Abzweigungsflügel nebeneinander angeordnet. Diese Signale zeigten folgende Bilder:
  • Vorsignal (voorsein): "onveilig" ("unsicher", d.h. alle zugehörigen Hauptsignale stehen auf Halt) mit einem abwärtszeigendem und einem senkrechten Flügel; "veilig" ("sicher", d.h. Hauptsignal für ein Gleis ohne Geschwindigkeitseinschränkung zeigt Frei) mit einem aufwärtszeigendem und einem senkrechten Flügel; und "krom" ("Abzweigung", d.h. ein Hauptsignal für ein Gleis mit Geschwindigkeitseinschränkung zeigt Frei) mit einem abwärtszeigendem und einem aufwärtszeigendem Flügel:
  • Die Hauptsignale (hoofdsein) zeigen dieselben Begriffe wie bei den Einzelsignalen, nur eben mit den schwalbenschwanzförmigen Flügeln:

Für durchgehende Hauptgleise wurden in der Regel auch Ausfahrvorsignale angebracht, wobei der Vorsignalflügel am selben Mast wie das Hauptsignal montiert wurde. In Simpelveld steht ein solches Signal auf der Ostseite, das ich leider nur von hinten fotografiert habe:

Einfahrsignal B1-3 mit Ausfahrvorsignal Dv1, Simpelveld,17.8.2015

Ab etwa 1940 wurde in den Niederlande eine Geschwindigkeitssignalisierung eingeführt, und zwar auf folgende Art:

Es durfte nun vor einer Gruppe von verzweigenden Gleisen auch ein einzelner "Verzweigungsflügel" mit Schwalbenschwanz aufgestellt werden, der waagrecht getrennt rot-weiß lackiert war. Die zulässige Geschwindigkeit wurde dabei am Hauptsignal nicht angezeigt, sondern nur am Vorsignal mit den Begriffen eines bekannten Verzweigungsvorsignals, wie das etwa auch in Italien der Fall war. In der Nacht wurde "Sicher" beim "Gruppenverzweigungssignal" durch ein grünes Blinklicht angezeigt – an einem Formsignal! Ab etwa 1942 (also mitten im Zweiten Weltkrieg) wurde die dafür nötige elektrische Schaltung aber als zu aufwendig angesehen und stattdessen der Flügel von einer zusätzlichen Lampe angestrahlt, sodass die rot-weiße Lackierung auch in der Nacht zu erkennen war.

Mit diesen Verzweigungsflügeln konnten an vielen kleineren Stationen die nebeneinanderstehenden Flügel für die einzelnen Einfahrgleise durch einen einzelnen Flügel ersetzt werden. Offenbar war es aber an vielen Bahnhöfen untergeordneter Strecken schon vorher üblich (wie auch in Österreich und vermutlich vielen Ländern), dass gar keine echte Wegesignalisierung für die einzelnen Gleise vorgenommen wurde – weder mit Verzweigungssignalen noch später mit Verzweigungsflügeln. Stattdessen musste das Zugpersonal aufgrund des Fahrplans wissen, ob es das durchgehende oder ein anderes Gleis befahren würde. Bei außerplanmäßiger Fahrt in die Ablenkung musste der Zug vermutlich – wie auch in anderen Ländern üblich – beim Einfahrsignal gestellt werden, vielleicht sogar einen entsprechenden Befehl in einem vorliegenden Bahnhof erhalten.

Auch in Simpelveld und Wijlre-Gulpen sind als Einfahrsignale einfache einflügelige Haupt- und auch Vorsignale aufgestellt, sodass die Wegesignalisierung nicht erkennbar ist. Als ein letztes Relikt davon kann man auf dem Gleisplan von Simpelveld am post I erkennen (sieht man in diesem Folgeposting), dass für die Ausfahrten Richtung Kerkrade und Deutschland früher zwei Verzweigungssignale angebracht waren – heute steht auch dort ein einfaches einflügeliges Signal.

Außerdem gab es bei der NS noch einarmige automatische Blocksignale mit Grundstellung Frei sowie Verzweigungssignale, bei denen zwei Arme untereinander angebracht waren. Einige Erklärungen dazu stehen hier bei www.klassiekebeveiliging.com.

Diese Erklärungen habe ich mir vor allem aus Seiten auf seinarm.nl zusammengereimt – leider sind dort die Erklärungen auch nicht überall ganz klar; insbesondere bei der Geschwindigkeitssignalisierung ab 1940 wird der Vorsignalarm auf einem Verzweigungshauptsignal zusammen mit der Vorsignalisierung der Abzweigung erklärt. Ich denke aber, dass meine Rekonstruktion im Wesentlichen richtig ist.

Fotos von niederländischen Formsignalen findet man u.a. noch hinter folgenden Links:

b) Verantwortungsaufteilung der Stellwerke: Fahrdienstleiter + nummerierte Endstellwerke = "österreichisch"


In den Niederlanden gibt es wie überall in Mitteleuropa, aber im Gegensatz zum englischsprachigen Raum, das Konzept des betrieblich einheitlichen Bahnhofs. Daraus ergibt sich für den Betrieb eine Auftrennung der Verantwortung: Für den gesamten Eisenbahnbetrieb eines Bahnhofs und der zugeordneten Strecken ist ein Fahrdienstleiter verantwortlich, der im Niederländischen "treindienstleider" heißt und seinen Dienst in der Fahrdienstleitung tut – auf Niederländisch ist das der "post T", wobei das T eben die Abkürzung für treindienstleider ist. Hauptsignale dürfen nur vom Fahrdienstleiter selbst oder über seinen Auftrag gestellt werden. Bei kleineren Bahnhöfen werden die Weichen und Signale direkt vom Fahrdienstleiter gestellt, sodass es dort nur den "post T" gibt. Das ist in Wijlre-Gulpen noch der Fall:

Post T (Fahrdienstleitung), Wijlre-Gulpen, 17.8.2015

Wenn ein Bahnhof so groß wird, dass seine Weichen und Signale aufgrund der Entfernungen nicht von der Fahrdienstleitung aus gestellt werden können, dann werden Stellwerke zu ihrer Bedienung aufgestellt – häufig an den beiden Bahnhofsköpfen, also als Endstellwerke. Im Niederländischen werden die Stellwerke auch mit "post" bezeichnet und mit römischen Zahlen nummeriert. Ein größerer Bahnhof hat also üblicherweise einen "post T", einen "post I" und einen "post II". Simpelveld besitzt eine solche Anlage:

Blockapparat im post T (Fahrdienstleitung), Simpelveld, 17.8.2015

Post I, Simpelveld, 17.8.2015

Post II, Simpelveld, 17.8.2015

c) Stellwerkslogik: Fahrstraßenlogik = "mitteleuropäisch"


Stellwerke im englischsprachigen Raum verwenden Verschlüsse, die direkt die einzelnen Hebel gegeneinander verriegeln (im Deutschen wird dafür der Begriff "Kaskadenstellwerk" verwendet). Dies führt dazu, dass die Verschlusslogik sozusagen immer in Betrieb ist, egal ob die Hebel für Verschub- oder Zugfahrten gestellt werden. Daher ist die Ergänzung von Verschubsignalen dort ohne viel zusätzlichen Aufwand möglich und seit Beginn der Verwendug von Stellwerken, also seit den 1860er Jahren, selbstverständlich.

Dagegen haben Stellwerke in Mitteleuropa frei stellbare Weichen, die erst durch eigene Verschlusselemente, die "Fahrstraßenschieber", für eine Fahrt festgelegt werden. Der Grund dafür ist, dass Stellwerke in Mitteleuropa erst langsam in den 1880er Jahren eingeführt wurden. Die Fahrten fanden über die ungesicherten Weichen und unter Aufsicht der Weichenwärter statt (die zusätzlich die Hauptsignale zu beachten hatten, die damals nicht nur den Lokführern die Fahrterlaubnis anzeigten, sondern auch den Weichenwärtern und allen am Verschub Beteiligten, dass und wo eine Zugfahrt bevorstand). Als Stellwerke aufgestellt wurden, blieb es dabei, dass für Verschubfahrten weiterhin kein Verschluss der Weichen vorgesehen wurde, für Zugfahrten aber schon. Die dafür eingesetzten Fahrstraßenschubstangen wurden ab 1872 in Stellwerken von Siemens und Halske sowie von Büssing eingesetzt, die damit die Sicherung von Zugfahrten gemäß der "Fahrstraßenlogik" einführten, die sich für die nächsten fast 100 Jahre in Mitteleuropa durchsetzte.

Hier sieht man den Stellwerksapparat in Wijlre-Gulpen, der für Demonstrationszwecke so hergerichtet ist, dass man die Schubstangen (oder "Schieber"), die normalerweise abgedeckt sind, sehen kann:

Fahrstraßenschieber im Stellwerksapparat, post T, Wijlre-Gulpen, 17.8.2015

In Simpelveld liegen die Schieber unter einer Glasplatte:

Fahrstraßenschieber im Stellwerksapparat, post I, Simpelveld, 17.8.2015

d) Hebelbänke: (neben anderen) "Siemens & Halske" - tatsächlich Bauform 3414 = "österreichisch"


Laut www.klassiekebeveiliging.com ("Voorschriften voor de bediening van wissel- en seininrichtingen - Deel IV - Mechanische bedieningstoestellen") waren in den Niederlanden vorwiegend mechanische Stellwerke der folgenden Firmen in Betrieb:
  • Alkmaarsche Metaal- en IJzergieterij (Alkmaar'sche Metall- und Eisengießerei)
  • Siemens & Halske
Alkmaar, die eigene Bauarten nicht nur in den Niederlanden, sondern etwa auch in Südafrika aufstellte, baute allerdings später hauptsächlich die Siemens-Stellwerke in Lizenz. Auch in Wijlre-Gulpen und Simpelveld stehen Stellwerke dieser Bauart – wobei man als gelernter Österreicher allerdings weiß, dass Siemens mehrere verschiedene Typen von Stellwerken baute! Welche davon waren nun die, die in den Niederlanden zum Einsatz kamen? In Frage kommen zumindest die Siemens-Typen
  • 3414
  • 3500
  • 3500a
  • 3500c (besser bekannt unter der Bezeichnung 5007, wie die entsprechende Plannummer des österreichischen Eisenbahnministeriums von 1909 lautete).
  • und auch die alte Type 12SA, die ebenfalls von Siemens gebaut worden war.
Wenn man sich nun die Bilder niederländischer Siemens-Stellwerke ansieht, dann sieht man sofort, dass es sich hier eindeutig um die Type 3414 handelt. Allerdings wurden in den Niederlanden auf diesen Stellwerken ausschließlich Hebel mit Längsgriff eingesetzt – die ursprünglichen Steigbügelgriffe waren wegen ihrer Gefahr beim Auffahren von Weichen schon vor 1900 abgeschafft worden (Steigbügelgriffe überlebten aber in Österreich für Signale, wie die bis in die 1980er Jahre überlebenden Anlagen in Süßenbrunn, Mistelbach und Frättingsdorf zeigen). Genauer können wir uns die Übereinstimmung am Stellwerksapparat in Wijlre-Gulpen ansehen, der von der ZLSM als Demonstrationsobjekt mit offenem Schieberkasten eingerichtet wurde. Hier sieht man ein Detailbild von der Vorderseite dieser Anlage, wo man die Mechanik zwischen den Hebeln und dem Schieberkasten erkennen kann, sowie ein Bild von der Seite der Hebelbank mit der typischen "gekurvten Versteifung":

Stellwerksapparat, post T, Wijlre-Gulpen, 16.8.2015

Stellwerksapparat, post T, Wijlre-Gulpen, 16.8.2015

Und hier sind zwei Ausschnitte aus Diagrammen aus dem Standardwerk über österreichische Stellwerkstypen, "Eisenbahnsicherungsanlagen in Österreich" von Christian Hager, von der Beschreibung der Type 3414:



Für Interessierte habe ich die zwei Seiten, die sich mit der Type 3414 beschäftigen, hier eingescannt (Klick auf das Bild öffnet ein lesbares PDF):


Interessanterweise hat Siemens Stellwerke der Bauart 3414 auch in Deutschland eingesetzt – zumindest auf Stadtbahnstrecken im Berliner Raum, wie man auf dieser Seite über Berliner Stellwerke sehen kann.

Außerdem gab es natürlich 3414er Stellwerke auch in den Nachfolgestaaten der Monarchie. Momentan weiß ich von einem solchen Stellwerk, das noch vorhanden ist, nämlich in Becov nad Teplou in Tschechien. Dieses Stellwerk wird auf dieser Website vorgestellt.

Zurück in die Niederlande: Dort wurden, wie erwähnt, die meisten 3414-Anlagen nicht von Siemens selbst gefertigt, sondern in Lizenz von der Alkmaarschen Metall- und Eisengießerei. Am Rahmen des Stellwerks in Wijlre-Gulpen ist die Abkürzung "AY" eingegossen, die auf Alkmaar hinweist – allerdings ist "AY" wohl eigentlich ein genuiner Alkmaar-Typ, daher ist (mir) nicht klar, wieso dieser Siemens-Lizenzbau diese Aufschrift hat. Hier sind zum Vergleich noch einige weitere Bilder einerseits der Anlagen in Wijlre-Gulpen und in Simpelveld, andererseits der letzten 3414-Anlage mit Weichenhebeln im österreichischen Frättingsdorf:

Stellwerksapparat, post T, Wijlre-Gulpen, 16.8.2015

Stellwerksapparat, post I, Simpelveld, 16.8.2015

Stellwerksapparat, post II, Simpelveld, 16.8.2015

Stellwerksapparat, Stellwerk 1, Frättingsdorf, März 1987

Stellwerksapparat, post T, Wijlre-Gulpen, 16.8.2015

Stellwerksapparat, Stellwerk 1, Frättingsdorf, März 1987

Was aber dezidiert "englisch" ist, ist die Bedienung der Hebel: Wie auch in Großbritannien werden die blanken Metallgriffe nicht direkt angefasst, sondern immer nur mit einem Tuch:

Umstellen eines Hebels, post II, Simpelveld, 16.8.2015

Und sogar die Tasten der Blockfelder werden so bedient:

Blockbedienung, post II, Simpelveld, 16.8.2015

Blockbedienung, post II, Simpelveld, 16.8.2015

Im nächsten Posting kommen dann statt langer Erklärungen viele Fotos, die ich heuer im Sommer in Wijlre-Gulpen gemacht habe!

Freitag, 18. Dezember 2015

Krauss-Stellwerk am Pasinger Abstellbahnhof, 2015

Neben den drei Krauss-Stellwerken auf der Mühldorfer Strecke gibt es – neben einer Handvoll anderen in Bayern – auch ein Krauss-Stellwerk in München, und zwar am Abstellbahnhof in Pasing, offiziell "Pasing Betriebsbahnhof". Es ist ein reines Verschubstellwerk, ohne Fahrstraßenschieber und ohne jegliche Blockabhängigkeiten.

Hier sieht man die Hebelbank dieses Stellwerks:

Hebelbank, Stw.Rw, Pasing Betriebsbahnhof, Frühjahr 2015

Hebelbank, Stw.Rw, Pasing Betriebsbahnhof, Frühjahr 2015

Obwohl keine Fahrstraßenschieber vorhanden sind, sind die senkrechten Verschlussbalken angebaut und werden beim Ziehen der Handfalle bewegt:

Hebelbank, Stw.Rw, Pasing Betriebsbahnhof, Frühjahr 2015

Hebelbank, Stw.Rw, Pasing Betriebsbahnhof, Frühjahr 2015

Die Drahtseile laufen über interessante Doppelrollen mit verschiedenem Durchmesser, die lose auf eine Achse aufgesteckt sind und offenbar auch keine seitliche Führung haben, also nur durch das Seil in ihrer Lage gehalten werden:

Hebelbank, Stw.Rw, Pasing Betriebsbahnhof, Frühjahr 2015

Hier sieht man die Hebelbank von hinten. Man erkennt am durchlaufenden Träger einen Abhängigkeitshebel zwischen zwei Weichenhebeln – wozu auch immer das auf einem Rangierstellwerk gut ist:

Hebelbank, Stw.Rw, Pasing Betriebsbahnhof, Frühjahr 2015

Eine ganze Reihe von weiter hinten liegenden Hebeln ist mit elektrischen Hebelsperren ausgestattet:

Hebelbank, Stw.Rw, Pasing Betriebsbahnhof, Frühjahr 2015

Hebelbank, Stw.Rw, Pasing Betriebsbahnhof, Frühjahr 2015

Die meisten Hebel sind einfache Hebel. In der Mitte befindet sich aber dieser Doppelhebel. An sich sind diese Hebel für Riegel oder vielleicht auch zweiflügelige Formsignale vorgesehen gewesen – hier wird dieser Hebel einfach zur Bedienung zweier Weichen eingesetzt, weil der Platz auf der Hebelbank ausgegangen war:

Hebelbank, Stw.Rw, Pasing Betriebsbahnhof, Frühjahr 2015

Hier sieht man die Verschlussbalken, ganz links ist der Doppelhebel zu erkennen:

Hebelbank, Stw.Rw, Pasing Betriebsbahnhof, Frühjahr 2015

Zwei Sperrsignale und zwei Weichen werden von diesem Pult gestellt, das aus Elementen eines SpDrS-Stellwerks aufgebaut ist:

Stellpult, Stw.Rw, Pasing Betriebsbahnhof, Frühjahr 2015

Hebel 324 ist umgelegt:

Hebelbank, Stw.Rw, Pasing Betriebsbahnhof, Frühjahr 2015

Hebelbank, Stw.Rw, Pasing Betriebsbahnhof, Frühjahr 2015

Auf den Hebel sind kleine "Spicker" mit den erreichbaren Gleisnummern aufgeklebt:

Hebelbank, Stw.Rw, Pasing Betriebsbahnhof, Frühjahr 2015

Einige Hebel sind mit Hilfssperren versehen:

Hebelbank, Stw.Rw, Pasing Betriebsbahnhof, Frühjahr 2015

Die Reihe der Hebel:

Hebelbank, Stw.Rw, Pasing Betriebsbahnhof, Frühjahr 2015

Weichenschlösser für den Fall der Fälle:

Weichenschlösser, Stw.Rw, Pasing Betriebsbahnhof, Frühjahr 2015

Ein Schaltschrank gegenüber dient zum Stellen von Sperrsignalen:

Signalschaltschrank, Stw.Rw, Pasing Betriebsbahnhof, Frühjahr 2015

Signalschaltschrank, Stw.Rw, Pasing Betriebsbahnhof, Frühjahr 2015

Vom Übersichtsplan gibt es auch zwei Bilder. Hier ist der Bahnhof übrigens als "Abstellbahnhof Pasing" bezeichnet:

Gleisplan, Stw.Rw, Pasing Betriebsbahnhof, Frühjahr 2015

Gleisplan, Stw.Rw, Pasing Betriebsbahnhof, Frühjahr 2015

Die zwei linksäußersten Hebel zeigen, dass hier zwei verschiedene Hebelbauarten verbaut sind:

Hebelbank, Stw.Rw, Pasing Betriebsbahnhof, Frühjahr 2015

Unter der Signalstelltafel liegt das Einrückeisen:

Einrückeisen, Stw.Rw, Pasing Betriebsbahnhof, Frühjahr 2015

In einem Schuppen an der Rückseite des Stellwerks liegen zwei Ersatzhebel: Ein einfacher ...

Ersatzteile, Stw.Rw, Pasing Betriebsbahnhof, Frühjahr 2015

... und ein doppelter:

Ersatzteile, Stw.Rw, Pasing Betriebsbahnhof, Frühjahr 2015

Eine ganze Menge Seilscheiben ist auch noch da – ich denke, sie sind für die Spannwerke:

Ersatzteile, Stw.Rw, Pasing Betriebsbahnhof, Frühjahr 2015

Und hier sehen wir diese:

Spannwerke beim Stellwerk Rw, Pasing Betriebsbahnhof, Frühjahr 2015

Am Stellwerksgebäude befinden sich noch die Scheinwerfer:

Scheinwerfer, Stw.Rw, Pasing Betriebsbahnhof, Frühjahr 2015

Scheinwerfer, Stw.Rw, Pasing Betriebsbahnhof, Frühjahr 2015

Und zuletzt eine Aufnahme des kleinen Stellwerksgebäudes:

Stellwerk Rw, Pasing Betriebsbahnhof, Frühjahr 2015