Dienstag, 15. März 2022

Uralte Späth-Weichenhebel und eine Menge weiterer Besonderheiten in Augsburg, 2022

Auf stellwerke.info hat Robert entdeckt, dass in Augsburg uralte Späth-Weichenhebel in freier Wildbahn herumstehen. Nach einigem Aufwand an Fußmarsch sind davon schließlich einige Bilder entstanden – die auch neue Fragen aufwerfen.

Hier ist das urige Ensemble im heutigen Zustand zu sehen:

Weichenwärterbude mit Späth-Weichenhebeln von vor 1900, Augsburg-West, 14.2.2022

Die Hebel sind hier noch ein wenig mehr ins Licht gerückt.

Späth-Weichenhebel, Augsburg-West, 14.2.2022

Wenn man genau schaut, sieht man, dass die Weichenhebel auf eigenen gelochten Trägereisen montiert sind. Es scheint, dass solche "zentralisierten Anordnungen von Weichenhebeln", wie ich es einmal nennen möchte, damals üblich waren und Späth dafür entsprechende Bauteile im Angebot hatte.

Späth-Weichenhebel, Augsburg-West, 14.2.2022

Das ganze ist natürlich eine uralte Anlage, die ältesten Teile sind sicher vor 1900 entstanden. Hier sieht man eine der Weichen, die von einem solchen Hebel gestellt werden – eine Doppelweiche ohne jeglichen Spitzenverschluss (und entsprechend klaffenden Zungen!):

Alte Doppelweiche mit direkt verbundenen Zungen, Augsburg-West, 14.2.2022

Vor den nächsten Bildern ist hier eine Planskizze von dem zu sehen, was dort vorzufinden ist.
  • Die schraffierten Weichen sind welche, die mit Stellgewicht bedient werden – egal, ob dieses direkt an der Weiche steht oder bei der Bude.
  • Die Stellhebel habe ich als blaue Flecken gezeichnet, mit den jeweiligen Stangenleitungen zu den Weichen.
  • Schon die mechanischen Teile des Ensembles sind ja was Besonderes – aber tatsächlich gibt es dort auch eine Weiche mit elektrischem Antrieb! Dort muss wohl die Mechanik überhaupt nicht mehr verwendbar gewesen sein, sodass die Localbahn diesen mutigen Schritt getan hat. Neben der Bude sieht man auch einen Schaltkasten, in dem wohl der nötige Umschalter montiert ist. Wieso ausgerechnet diese Weiche, die heute ins Gestrüpp führt, diese Modernisierung erfahren hat?



Aber weiter mit Bildern. Hier sind noch einmal die vorderen Zungen der alten Doppelweiche, diesmal etwas mehr in Endstellung – wer da wohl aufs Gewicht gedrückt hat? Die Weiche hat übrigens, wie alle Weichen ohne Spitzenverschluss, Gelenkzungen; allerdings sieht man die Gelenke auf meinen Bildern kaum. Und, offensichtlich, hat diese Weiche keine Weichensignale – ein halbwegs zuverlässiger Antrieb, der das Signal um 90° dreht, wäre kaum möglich. Für diese Weiche im Gestrüpp ist das kein Problem mehr, aber weiter unten werden wir eine interessante Konsequenz davon sehen:

Zungen der Doppelweiche in Endstellung, Augsburg-West, 14.2.2022

Weiter mit noch Besonderem: Neben der alten Doppelweiche liegt eine relativ moderne, mit ordentlichen Spitzenverschlüssen. Hier ist ein Bild von ihr, dahinter sieht man die alte Doppelweiche:

Neue Doppelweiche, im Hintergrund die alte Doppelweiche, Augsburg-West, 14.2.2022

Hier sieht man die neue Doppelweiche links, und man erkennt, dass sie am "Hang eines kleinen Bergleins" liegt, der sich dahinter wieder senkt. Gegenüber dem nicht mehr befahrbaren rechten Gleis mit der alten Doppelweiche ist das Berglein durch eine Stützmauer aus alten Stahlschwellen abgetrennt. Am hinteren Fuß des Bergleins liegt, noch ein wenig im Gefälle, die Abzweigweiche zur Strecke, die dann mit noch steilerem Gefälle nach unten verschwindet. Noch ein Detail sind die asymmetrisch versetzen Weichensignale – eines für den näherliegenden Teil der Doppelweiche, das andere im Hintergrund auf der Abzweigweiche zur Strecke:

Doppelweiche und Abzweigung zur Strecke, Augsburg-West, 14.2.2022

In der umgekehrten Richtung teilen sich die Gleise der Doppelweiche auf und führen in die drei noch befahrbaren Gleise des Bahnhofs. Links sieht man, auf dem folgenden Bild, gerade noch den Beginn der erwähnten Stahlschwellen-Stützmauer. Man kann nun spekulieren, was der Zweck des Bergleins ist:
  • Soll er, als ein kleiner Ablaufberg, das Reihen von Wagen in diesem kleinen Bahnhof erleichtern?
  • Oder ist er nötig, damit die Verzweigungsweiche zur Strecke schon ein wenig im Gefälle liegen kann und damit der Gefällsbruch zum abzweigenden Streckengleis geringer ist?

Doppelweiche und Bahnhofsgleise, Augsburg-West, 14.2.2022

Das nächste Bild zeigt das vereinfachte Weichensignal. Zumindest für mich ist das eine heftige Kippfigur (a la Necker-Würfel), weil ich mir schon erwarte, dass die hier sichtbaren Symbole außen auf einem Würfel aufgemalt sind, und nicht so wie hier:

Einfaches Weichensignal an der Doppelweiche, Augsburg-West, 14.2.2022

Gehen wir weiter zur nächsten Weiche: Diese wird wieder von einem Späth-Hebel angetrieben, aber leider habe ich sie direkt nicht aufgenommen. Hier sieht man ihren Antrieb von einem Winkelhebel aus, wo dann die Antriebsstange sich unter einem Gleis und der Doppelweiche durchschlängelt, um dann ganz hinten an der Weiche angeschlossen zu sein:

Stellstange und Winkelhebel der hinteren vom Späthhebel bedienten Weiche, Augsburg-West, 14.2.2022

Im Gegensatz zur alten Doppelweiche haben wir hier eine moderne Federzungenweiche vor uns, und daher braucht diese auch Spitzenverschlüsse. Ich habe aus dem vorherigen Bild den Teil herauskopiert, wo man vorne die Abdeckung des Klammerspitzenverschlusses sieht; und hinten die dafür typische Trennung von Stellstange und angelenktem Bewegungshebel an der Zunge:

Detail der hinteren vom Späthhebel bedienten Weiche, Augsburg-West, 14.2.2022

Noch was Wichtiges: Diese Weiche hat, wie alle hier von Späth-Hebeln bewegten, kein Weichensignal! – man sieht dies auch am Bild weiter oben von der neuen Doppelweiche in Richtung der Bahnhofsgleise: Die Weiche ist die erste auf rechten Seite, mit Lage nach links. Der Grund ist wohl, wie oben erwähnt, dass man von diesen etwas willkürlich bewegten Stangen nicht zuverlässig so ein Signal antreiben kann. Rangierweiche ohne Weichensignal? – das muss Konsequenzen haben: Die sieht man (glaube ich) weiter unten.

Den Winkelhebel aus dem vorherigen Bild schauen wir uns noch einmal genauer an. Es kann noch nicht so lange her sein, dass die Augsburger Localbahn diese Weiche gängig gemacht hat (was sie jetzt nicht mehr ist) und im Zuge dessen diesen Winkelhebel neu befestigt hat:

Winkelhebel der hinteren vom Späthhebel bedienten Weiche, Augsburg-West, 14.2.2022

Sollte sich wer beschweren, dass der Winkelhebel "falsch herum" montiert ist, nämlich nicht als richtiger Ausgleichshebel zur Kompensation der Wärmeausdehnung: Erstens sind die Stangenlängen hier wirklich klein, höchstens 8 oder 10 Meter vor und hinter dem Winkelhebel; und zweitens hat die angetriebene Weiche ja einen Spitzenverschluss, der tolerant gegenüber einer gar nicht so kleinen Bewegung der Anstriebsstange ist. Also alles in Ordnung so:

Winkelhebel der hinteren vom Späthhebel bedienten Weiche, Augsburg-West, 14.2.2022

Vom Weichenhebel her ist die Stangenleitung noch einmal ... nun ja: "gelagert" will ich nicht sagen, nennen wir es "geführt":

Stangenführung auf einer eingegrabenen Eisenschwelle, Augsburg-West, 14.2.2022

Und dann, ja, gibt es wie erwähnt noch eine elektrische Weiche. Wieso diese Weiche sich diese Sonderbehandlung verdient hast, ist mir nicht klar. Und im Besonderen noch was extra Besonderes: Das Weichensignal ist um eine Schwelle weiter weg vom Antrieb als üblich aufgebaut, was eine stark gekröpfte Antriebsstange für das Weichensignal erfordert.

Elektrische Weiche, Augsburg-West, 14.2.2022

Das Weichensignal ist zwar ein üblicher "Würfel", aber wirklich gut ist es nicht mehr in Schuss.

Nächste Spezialität: An einem Lichtmast ist hier ein Wartesignal angebracht – was kann der Grund dafür sein? Mir fällt nur einer ein: Die folgende Weiche – von einem Späth-Hebel "ferngestellt"; die mit dem Winkelhebel und der langen Stange – hat ja kein Weichensignal! Daher muss der Weichenwärter die Fahrt über diese Weiche freigeben, um ein Auffahren zu vermeiden (was, nebenher, den zugehörigen Späth-Weichenhebel mit Gewalt herumreißen und damit den Weichenwärter gefährden würde); und um das dem Lokführer und Rangierpersonal ordnungsgemäß anzuzeigen, ist hier nun dieses Wartesignal angebracht:

Elektrische Weiche und Wartezeichen, Augsburg-West, 14.2.2022

Und zuletzt zeigt das folgende Bild, ganz was Seltenes, einmal meine Wenigkeit im Zuge dieser Eisenbahn-Archäologie-Unternehmung (und damit direkt beim vermutlich nicht wirklich rechtlich akzeptablem Betreten dieser Anlage. Ich muss dazu wohl stehen). Interessanter, technischerweise, ist das Weichensignal im Vordergrund, das man – nach fehlenden, "Kippbild-" und halbwegs akzeptablen Würfel-Weichensignalen – als vierte Variante "ziemlich kaputter Würfel" bezeichnen muss:

Weichen und ich, Augsburg-West, 14.2.2022

Das war's von diesem interessanten Bahnhof (oder Bahnhofsteil). Leider scheint er in letzter Zeit – seit Ausbruch von Corona? oder schon länger? – nicht mehr befahren zu werden. Trotzdem geht's dem Betreiber, der Augsburger Localbahn, noch ganz gut, weil sie auf ihrer Webseite Lokführer:innen, Rangierbegleiter:innen und auch eine:n örtliche:n Betriebsleiter:in sucht.

2 Kommentare:

  1. Zu dem Berglein: die AL benutze diesen Bahnhof als Zugbildunhsbahnhof; früher wurden auch Wagen im Bahnhof Morellstrasse von der DB übergeben, und dann mit dem Berglein sortiert. In den 90er fuhr man zwar schon mit Funkloks, aber dennoch zweimännig: der Lokrangierführer fuhr die Lok, bediente das Stellwerk und kuppelte mit einer Holzstange ab. Der Rangierer legte Hemmschuhe und Kuppeln in den drei Richtungsgleisen.

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    1. Besten Dank für Darstellung der Rangierprozesse! - das ist immer wieder interessant.
      H.M.

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