Samstag, 23. April 2011

Eine galoppierende Lokomotive ...

Um einige Ecken habe ich den Generalsekretär der Österreichischen Bundesbahnen kennengelernt (der Univ-Prof des Instituts, wo meine Mutter in den 50ern war, hatte einen Kollegen, der Univ-Prof für physikalische Chemie in Wien war; und der Bruder von dessen Frau war dieser Generalskretär). Ohne jetzt ins Detail zu gehen und womöglich anzuecken: Die ÖBB war immer rot (sozialistisch); aber in Österreich braucht es für alles ein Gegengewicht, daher gab es den Generalsekretärsposten, und der war schwarz. Innegehabt hat ihn damals – in den 1980ern – dieser sehr nette, damals schon ältere Bruder der Frau usw., ein Jurist. Er hat mir einmal – in seinem Büro in der "GD", der Generaldirektion der ÖBB in der Elisabethstraße – beschrieben, dass er sich hauptsächlich um das Problem der Weidezäune zu kümmern habe: Wenn der Weidezaun die Kuh nicht aufhält, diese aufs Gleis marschiert, der Zug kommt ... dann stellen sich jahrhundertealte Fragen, ob/wann/wann nicht/warum usw. die ÖBB für die Erhaltung dieser Zäune zuständig gewesen wäre (was anscheinend in Rechtsvorgängen des 19. Jahrhunderts begründet war) oder nicht. Klar, auch darum muss sich wer kümmern.

Mich hat anderes interessiert an der Eisenbahn.

Er hat mich immer wieder gefragt, ob er was tun könne für mich – und irgendwann bin ich dann draufgekommen: Eine Erlaubniskarte mit L-Stempel! Was das ist? Erlaubniskarte der ÖBB: Dass man Bereiche der Eisenbahn betreten darf, wo andere nicht hindürfen. L-Stempel: Der heilige "Lok-Mitfahr-Stempel"! (Es gab noch den A-Stempel – über den erzähl ich später vielleicht, den hatte ich über viel Jahre; und dann noch einen "dazwischen", wo man in Heizhäusern auf Führerstände durfte, aber nicht mitfahren, wenn ich mich richtig erinnere). Zurück zur Geschichte ...

Er war sehr bemüht, mein Herr Generalsekretär, aber L-Stempel gab's nicht auf Dauer. Er hat mir einen besorgt für einen Tag, irgendwann in den Ferien: Für die Strecke Spittal-Millstättersee – Schwarzach-St.Veit: "den Tauern". Also habe ich mich aufgemacht, an diesem Tag möglichst oft über den Tauern hin- und herzufahren. Wenn mich nicht alles täuscht, hatte ich ein Austria-Ticket für 14 Tage, weil ich auf "Stellwerkstour" war – einen Tag davon habe ich mir für diese Tour abgezwackt.

Irgendwann packe ich meine Fotos aus, die ich natürlich gemacht habe – die ich aber unter den Tausenden nicht finde – dann fallen mir vielleicht die übrigen 5 Maschinen ein, auf denen ich damals mitgefahren bin. Erinnern kann ich mich nur an eine: Eine 1044, mit einem Eilzug mit 2 (!) Schlieren und einem Lokführer, der ... naja, Rodeoreiter in Texas wäre was gewesen für ihn.

Die 1044 war, als sie rauskam, die stärkste 4-achsige Lok der Welt. 5400 kW Leistung (7500 PS oder so), "Makroschlupf", 84 Tonnen Stahl (und Kupfer). Mit zwei Schlieren und ein paar Fahrgästen macht das ein Zuggewicht von 140 Tonnen oder so – "nichts", sozusagen.

Jetzt fängt die Geschichte an ... und sie fängt in der Mitte an: An die Strecke von Spittal bis Badgastein kann ich mich nicht mehr erinnern. Vielleicht bin ich auch dort erst auf den Führerstand geklettert ... wie auch immer: Ausfahrt Hofgastein – nicht Haltestelle, sondern unten im Gasteinertal. Dort gab es damals schon die zweigleisige, begradigte Ausfahrt, mit 120 oder 140 oder was immer. Noch was Technisches: Die 1044 hat einen "Geschwindigkeitsschieber" (wie schnell soll's gehen? – V) und einen "Zugkraftschieber" (wie viel Leistung geb ich dir dafür? – Z). Richtig angenehm – sie bremst sogar (elektrisch), wenn's schneller wird, als der Geschwindigkeitsschieber sagt, glaube ich.

Also Ausfahrt. Ich sitze links, auf so einem 4-beinigen Holzhocker, der für einen Mitfahrer (oder Ausbilder?) auf Loks herumsteht. Lokführer rechts, auf ergonomisch federndem Lokführersessel. Ausfahren tut man so, gemäß Rodeo: Man stellt V (Geschwindigkeit) auf 140; dann schiebt man Z ganz nach vorn. Angewandte Physik: Die Motoren drehen mit 7500 PS hoch, vielleicht etwas weniger. Die Lok (84 Tonnen Stahl!) geht wie ein Ferrari vorn in die Höhe. Man glaubt es nicht. 84 Tonnen Stahl - springen. Vielleicht nur ein paar Zentimeter – über den Holzhocker geht das trotzdem ins Kreuz.
Dann kommt der Schleuderschutz: (was beim Auto das ABS ist): "So geht das nicht – die Räder drehen durch". Also werden die Motoren ein Stück runtergeregelt. Was tut Lok? Sie lässt sich vorne runterfallen – wieder alle 84 Tonnen, noch immer mit mir auf dem Holzhocker.
Was sagt Leistungssteuerung? "Jetzt geht's ja wieder". Also schalten wir 7500 PS auf die Motoren - hü.
Schleuderschutz: "So nicht" – hott.
Effekt – siehe Überschrift.

Zwischendurch spielt noch der Lokführer mit: Er grümmelt irgendwas, reißt den Z-Hebel zurück – also doch keine 7500 PS. Dann wieder hoch – wir wollen ja weiterkommen.
Das Hü-Hott ist also nicht so richtig regelmäßig, sondern noch mit persönlicher Note ...
Er hat keinen Zughaken abgerissen (das hat ein Lokführer mit einer 1044 am Arlberg geschafft – der Haken war aber wohl angerissen), aber ich denke, auch im ersten Wagen muss man den Galoppritt noch gespürt haben ...

Die Geschichte geht noch weiter: Am Ende des Gasteinertales kommen die zwei Klammtunnel. Der zweite Tunnel mündet, ein paar hundert Meter über dem Talboden, in das Salzachtal. Die Eisenbahn beginnt schon im Tunnel eine Rechtskurve, damit sie dann am rechten Hang oberhalb von Lend bis nach Schwarzach-St.Veit hinunterführt. Die Kurve hat eine Beschränkung auf 60 oder 65, wenn ich mich nach den fast 30 Jahren richtig erinnere ... Jedenfalls brettern wir da hinein, mit ein paar kmh mehr als günstig. So macht man das beim Rodeo.
84 Tonnen Stahl fahren (Newtonsche Gesetze? Erstes!) gerade aus. Irgendwann läuft der Spurkranz der Führungsachse an – die Lok wird, ziemlich heftig, hinübergewuchtet. 84 Tonnen ... wie schon etwas öfter angemerkt. Der Holzhocker macht das mit. Ich auch.
Es geht wieder gerade aus. Dann wieder Anlaufen, wieder Wuchten, wieder ...
Emotional spannend war's nach dem Tunnelende: Ich hatte wirklich bei jedem Geradeausfahren das Gefühl, dass wir gradaus ins Salzachtal runterstürzen. Immer wieder kam das rettende Rüberwuchten.

Kleinigkeit noch in Loifarn – auf der halben Strecke nach Schwarzach: Dort stand doch tatsächlich ein 60er. Aussage Lokführer: "Bis gestern waren das aber noch 65!" So ist er dann auch gefahren. Gestern ist er ja auch noch durchgekommen.

In Schwarzach bin ich dann ausgestiegen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen