Korrektur 28.10.2014: Ein genauer Leser hat mich durch eine einfache Frage ("Was passiert, wenn die Bedienungsfahrt nicht durchgeführt wird?") ziemlich heftig darauf gestoßen, dass der bisher hier erklärte Ablauf nicht korrekt sein kann. Ich habe daher nun eine korrigierte Version erstellt. Auch diese Beschreibung ist an manchen Stellen spekulativ, weil ich damals einige wichtige Anlagenteile (insbesondere das wohl vorhandene Schieberschloss für den AB-Schlüssel) nicht aufgenommen habe. Allerdings ist der Ablauf nun so, wie ich ihn auf anderen Anlagen gesehen habe, und daher ziemlich sicher (um ein Stück) korrekt(er).
Korrektur 15.11.2014: Der Text war noch nicht korrekt – mein Leser hat ihn dankenswerterweise korrekturgelesen! Insbesondere die "grobe Idee" war falsch beschrieben, und bei der Grundstellung war bei den Blockfeldern "geblockt" und "entblockt" vertauscht. Nun ist der Text hoffentlich korrekt.
Eigentlich ist diese Abhängigkeit für eine Anschlussbahn auf der freien Strecke sogar noch zu den einfacheren zu zählen! Und trotzdem hat sie 22 Anlagenzustände. Ich hoffe, meine Erklärung weiter unten macht die Zusammenhänge transparent.
Nach
Klein Wolkersdorf war auf meiner Aspangbahn-Fahrt als nächstes der Bahnhof
Pitten an der Reihe.
Auch in Pitten stand ein Mittelstellwerk der Bauart 5007, von dem aus die zwei Spitzenweichen über Madnerhebel gestellt werden konnten. Links und rechts außen sieht man wieder die Hebel der Form-Einfahrsignale und ihrer zugehörigen Vorsignale. Allerdings gab es in Pitten auch ein einzelnes Gruppenausfahrsignal, und zwar Richtung Wiener Neustadt – der entsprechende Hebel ist links vom Einfahrsignalhebel A angebracht:
Mittelstellwerk, Fdl, Pitten, 25.9.1986
Die Anlage in Pitten war allerdings viel komplexer, als es auf den ersten Blick aussieht. Bevor wir uns mit diesen Details auseinandersetzen, zuerst noch einige "Kleinigkeiten".
Hier sieht man die Überwachung dreier Schrankenanlagen – zwei neue von Zelisko und eine alte. Über den drei rot leuchtenden Lampen steht übrigens "Phasenkontrolle":
Schrankenüberwachungen, Fdl, Pitten, 25.9.1986
Neben diesen drei Schrankenüberwachungen gab es drei weitere Schranken
antriebe außerhalb der Fahrdienstleitung, direkt unter dem Blumenschmuck:
Schrankenantriebe und Bahnhof, Pitten, 25.9.1986
Man könnte durchzuzählen versuchen, wieviele der hier laufenden Doppeldrahtzüge für Schranken sind, indem man jene für Signale, Weichen und Riegel abzieht:
Drahtrollenständer, Pitten, 25.9.1986
An der Hebelbank habe ich das Detail eines Schlosses für die Bahnhofssperre (was früher "Nachtsperre" hieß) aufgenommen. Der Schlüssel ist noch von "Götz & Söhne, Wien":
Schlüssel für Bahnhofssperre, Pitten, 25.9.1986
Wenden wir uns nun aber den Bahnanlagen zu. Hier ist ein Überblicksplan der Gleis- und Signalanlagen von Pitten bis Seebenstein. Von rechts, also von Wiener Neustadt, kommend fährt man der Reihe nach vorbei an
- dem Einfahrsignal A von Pitten,
- (dem in Gegenrichtung stehenden Ausfahrsignal H1-3)
- dem Bahnhof Pitten,
- (dem in Gegenrichtung stehenden Einfahrsignal Z)
- dem Deckungssignal Ab der Anschlussbahn Hamburger,
- der Anschlussweiche der Anschlussbahn,
- der Haltestelle Sautern-Schiltern, neben der das Einfahrvorsignal a von Seebenstein steht,
- dem Einfahrsignal A von Seebenstein (und fast genau gegenüber dem Deckungssignal Zb der Anschlussbahn) und zuletzt
- dem Bahnhof Seebenstein:
Hier sehen wir den Blockapparat in Pitten. Mit dem linksäußersten Feld, dem Ze-Feld von der Anschlussbahn, beschäftigen wir uns später. In der Mitte sieht man zwei übliche Ff-Felder (Gleichstrom-Wechselstrom-Felder) zur Festlegung der Fahrstraßen von und nach Aspang bzw. von und nach Wr.Neustadt. Allerdings ist das rechte Ff-Feld über eine Doppeltaste mit einem "Aufl.Bl."-Feld ("Auflöse-Block"?) gekoppelt, und rechts oben sieht man das "Relais" einer Isolierschiene:
Blockapparat, Fdl, Pitten, 25.9.1986
Hier sehen wir die Felder bei einer Durchfahrt aus Richtung Wiener Neustadt: Beide Ff-Felder sind geblockt (grün), das Auflöse-Feld ist aber weiterhin weiß:
Blockapparat, Fdl, Pitten, 25.9.1986
Die Auflösung der Fahrstraßen erfolgt in diesem Fall über Tasten in einem Kästchen neben der Fahrdienstleitung:
Auflösetasten, Pitten, 25.9.1986
An der Beschriftung dieser Tasten – "Auflösetaste gegen Aspang", aber "Auflösetaste
v. (von) Wr.Neustadt" – sieht man, dass die Auflösung
nach Wr.Neustadt direkt durch den Zug erfolgte. Dazu gab es die oben erwähnte Isolierschiene samt Relais und auch das Auflöse-Block-Feld – aber wie es funktioniert, habe ich leider nicht im Detail aufgeschrieben. Eine Möglichkeit wäre:
- Bei einer Fahrt von Wr.Neustadt wurde, wie man oben sieht, das Aufl.bl.-Feld nicht mitgeblockt. Die Auflösung erfolgt über die Taste.
- Bei einer Fahrt nach Wr.Neustadt wird es mitgeblockt (die Fahrstraßenknaggen schalten es beim Blocken dazu). Über dieses Feld wird die Isolierschiene angeschalten. Beim Befahren der Isolierschiene mit der ersten Achse wird dann das Ff-Feld entblockt, beim Verlassen der Isolierschiene auch das Aufl.bl.-Feld.
Wenden wir uns nun aber dem interessantesten Teil der Anlage zu, nämlich der
Anschlussbahn Hamburger. Die Anschlussbahn war erst 1981 errichtet worden – auf der Webseite der Firma Hamburger
kann (Korrektur 2.7.2017) konnte man
dieses Exemplar der Firmenzeitung zum 25-jährigen Bestehen der Anschlussbahn dazu herunterladen (
ich habe eine Kopie irgendwo herumliegen, wenn's jemand interessiert).
Im Diagramm weiter oben ist die Anschlussstelle samt den umliegenden Signalen schon dargestellt. Das folgende Diagramm zeigt die zugehörigen Blockanlagen. Die Einzelteile habe ich der Reihe nach (aus Richtung Wiener Neustadt) mit Buchstaben versehen, die am unteren Rand des Diagramms blau sichtbar sind:
- a: Fahrstraßenknaggen am Stellwerk Pitten;
- b: Eine Knagge zur Freigabe des Schlüssels für die Anschlussbahn am Stellwerk Pitten;
- c: Schieberschloss für den Anschlussbahn-Schlüssel am Schieberkasten;
- d: Schloss im Ze-Feld in Pitten (für Fahrten bei eingeschlossener Bedienungsfahrt – Erklärungen folgen gleich!);
- e: Das Ze-Feld für die Anschlussbahn;
- f: Die Deckungssignale und ihre (nicht dargestellten) Signalhebel im Anschlussbahn-Stellwerk;
- g: Das Freigabeschloss am Anschlussbahn-Stellwerk;
- h: Die Freigabe-Knagge dortselbst;
- i: Die Weichenknagge im Anschlussbahn-Stellwerk;
- j: Das Weichenschloss ebendort;
- k: Das Za-Feld im Anschlussbahn-Stellwerk;
- l: Das Za-Schloss darunter;
- m: Die Weichen mit ihren nicht dargestellten Schlüsseln (die Weichen sind untereinander übrigens über eine Folgeabhängigkeit wie in diesem Posting verbunden);
Die strichlierten Linien sind elektrische Verbindungen:
- Die rote verbindet die zwei Zustimmungsfelder,
- die schwarzen zeigen im Überblick die Verbindungen für die oben beschriebene Fahrstraßenauflösung.
Die strichpunktierten Linien zeigen, wie sich Schlüssel zwischen den Einrichtungen bewegen.
Klick auf das Bild öffnet eine PDF-Datei.
Das Zusammenspiel dieser Teile schauen wir uns gleich im Detail an. Grob ist die Idee, die hinter dieser Anlage steckt, die folgende:
- Solange in Pitten Zugfahrten auf der Aspanger Seite stattfinden sollen, muss am Schieberschloss c der AB-Schlüssel umgesperrt sein.
- Wenn man ihn dort herausnimmt, kann man ihn der einer Bedienungsfahrt zur Anschlussbahn mitgeben. Das Einstellen einer Fahrstraße auf der Seite Seebenstein ist durch den entnommenen Schlüssel verhindert.
- Wenn sich die Bedienungsfahrt in der Anschlussbahn einsperrt, weil daneben ein Zug vorbeifahren soll, sperrt sie den AB-Schlüssel im Schloss l ein und gibt dann über die zwei Blockfelder k und e den Zweitschlüssel im Schloss d der Fdl frei. Dieser Schlüssel kann nun im Schieberschloss c den AB-Schlüssel "vertreten", sodass Fahrten von oder nach Seebenstein eingestellt werden können.
In der Grundstellung ("Anlagenzustand 1" der folgenden Übersicht) haben die einzelnen Teile folgende Zustände ("Komponentenzustände"):
- a: Die Fahrstraßenknaggen sind frei stellbar (wenn die Weichen passend gestellt sind).
- b: Die AB-Knagge steht senkrecht;
- c: Im Schieberschloss ist der AB-Schlüssel durch die Knagge eingesperrt;
- d: Im Ze-Schloss ist ein Anschlussbahn-"Zweitschlüssel" durch das Ze-Feld eingesperrt.
- e: Das Ze-Feld in Pitten ist rot (im Diagramm durch den kleinen roten Kreis ersichtlich) und geblockt, sodass der Schlüssel aus d nicht entnommen werden kann.
- f: Beide Deckungssignale stehen in der Grundstellung auf frei (sie sind aber stellbar und könnten in irgendeinem Notfall auf Halt gelegt werden).
- g: Das Freigabeschloss am Anschlussbahn-Stellwerk ist ohne Schlüssel (der ist ja in Pitten im Schieberschloss!).
- h: Die Freigabe-Knagge steht daher senkrecht.
- i: Die Weichenknagge im Anschlussbahn-Stellwerk ist durch die Freigabeknagge umgelegt verschlossen.
- j: Dadurch ist der Weichenschlüssel im Weichenschloss eingesperrt.
- k: Das Za-Feld im Anschlussbahn-Stellwerk ist rot und entblockt.
- l: Das Za-Schloss darunter ist leer, sodass das Za-Feld k nicht geblockt
werden kann. Dieses Schloss nimmt später den AB-Schlüssel auf (der momentan noch in Pitten ist), wenn die Anschlussfahrt sich in der AB einschließen soll.
- m: Die Weichen (mit ihren nicht dargestellten Schlössern) sind in der Geraden verschlossen, sodass Zugfahrten gefahrlos möglich sind.
Hier ist nun der Ablauf bei einer Bedienfahrt dargestellt. Im Gegensatz zum
letzten Posting mit Zustandsbeschreibungen habe ich hier den Rückweg nicht beschrieben – wer sich dafür interessiert, kann ja einmal versuchshalber eine Texterklärung schreiben. Bei manchen Zuständen ist links angegeben, mit welchen vorherigen Zuständen sie fast gleich sind – die Unterschiede und ihre Gründe bitte selber überlegen!
Klick auf das Bild öffnet eine lesbare PDF-Datei:
Wie ist übrigens sichergestellt, dass keine Fahrt von Seebenstein nach Pitten stattfindet, solange die Bedienungsfahrt auf der freien Strecke ist? Das wird wie üblich durch eine Sperrung der Strecke erreicht (daher ist die Bedienungsfahrt eine
Sperrfahrt), während der keine Züge auf diesem Streckenabschnitt angeboten und angenommen werden dürfen.
Weil der Eisenbahngott manchmal freundlich ist, kam ausgerechnet damals ein Bedienungszug für die Papierfabrik daher:
2143.30 vor 70131, Pitten, 25.9.1986
Und netterweise durfte ich zum Verschub mitfahren.
Für ein Foto der Grundstellung des Stellwerks an der Anschlussbahn war ich zu langsam. Hier sieht man es im Zustand 9 (oder 10), wo also die Weichen in die Anschlussbahn schon freigegeben sind:
Einfahrt in die AB (Zustand 9/10), Stw.Anschlussbahn Hamburger, Pitten, 25.9.1986
Einfahrt in die AB (Zustand 9/10), Stw.Anschlussbahn Hamburger, Pitten, 25.9.1986
Beim Verschub selbst in der Papierfabrik habe ich mir Fotos vollständig erspart. Erst von der Rückfahrt gibt es wieder ein Bild:
2143.30 mit zurückkehrender Bedienungsfahrt, Anschlussbahn Hamburger, Pitten, 25.9.1986
Und hier findet auf der Aspangbahn tatsächlich eine Zugfahrt statt! Hinter dem Prellbock (an dem bequem der Verschieber lehnt) nach der Schutzweiche sieht man das kleine Gebäude des Stellwerks für die Anschlussbahn:
2143.027 vor Personenzug, 2143.30 mit Bedienungsfahrt (Zustand 22), Anschlussbahn Hamburger, Pitten, 25.9.1986
Zustimmung zu Zugfahrten nach Pitten gegeben (Zustand 22), Stellwerk Anschlussbahn Hamburger, 25.9.1986
Nach der Zugfahrt gibt der Fahrdienstleiter aus Pitten die Zustimmung wieder zurück (das entspricht einem Zustandsübergang 18 ⇒ 17). Die Anschlussweiche kann nun (nach Rückstellen der Signale usw.usf.) in die Minusstellung gelegt werden ...
2143.30 mit zurückkehrender Bedienungsfahrt von Anschlussbahn Hamburger (Zustand 10), Pitten, 25.9.1986
... und wir können auf's Streckengleis fahren. Das Deckungssignal Ab steht natürlich auf Halt:
Deckungssignal Ab, Bedienungsfahrt von Anschlussbahn Hamburger, Pitten, 25.9.1986
Der Verschieber macht sich nun auf, um im Stellwerk wieder die Grundstellung herzustellen, danach fahren wir nach Pitten zurück:
Einfahrvorsignal z, 2143.30 mit Bedienungsfahrt Anschlussbahn Hamburger (Zustand 4), Pitten, 25.9.1986
2143.30 mit zurückgekehrter Bedienungsfahrt von Anschlussbahn Hamburger (Zustand 1), Pitten, 25.9.1986
Weil ich Zeit hatte, bin ich dann von Pitten zu Fuß nach Seebenstein marschiert.
Einfahrsignal Z, Pitten, 25.9.1986
Am folgenden Bild sieht man links im Hintergrund wieder das Stellwerk der Anschlussbahn und rechts hinten schon die Vorsignaltafeln für das Einfahrvorsignal a von Seebenstein:
Deckungssignal Ab der Anschlussbahn Hamburger, Pitten, 25.9.1986
Einfahrvorsignal a von Seebenstein, Haltestelle Sautern-Schiltern, 25.9.1986
Diese Signalsituation hat's wahrscheinlich sonst nirgends mehr gegeben:
Deckungssignal Zb der Anschlussbahn Hamburger und Einfahrsignal A von Seebenstein, 25.9.1986
In
Seebenstein stand wieder ein einfaches Mittelstellwerk, mit Form-Einfahrsignalen "und sonst nichts".
Mittelstellwerk, Fdl, Seebenstein, 25.9.1986
Zur Fahrstraßenauflösung waren hier außen Schlüsselschalter angebracht, mit denen ein Induktor auf das jeweilige Ff-Feld geschaltet wurde (rein prinzipiell hätten die Felder daher reine Wechselstromfelder sein könnten – aber ziemlich sicher war der Induktor im Gleichstrombetrieb geschaltet, und die Felder waren, wie auf Mittelstellwerken üblich, Wechselstrom-Gleichstrom-Felder):
Auflöseschalter, Seebenstein, 25.9.1986
Zuletzt noch ein äußerst mittelprächtiges Foto des Bahnhofs, mit abgeschnittenem Zug – wollte ich tatsächlich die Rückseite der Fahrwegendetafel zum Hauptmotiv machen?
2143.24 mit Personenzug, Seebenstein, 25.9.1986
Mit diesem Zug habe ich dann Seebenstein verlassen:
5046.208 u.a. als 2723, Seebenstein, 25.9.1986