Ergänzung 22.12.2019: Bis gestern war meine Erklärung samt den Skizzen hier falsch; jetzt sollte aber alles stimmen!
Ergänzung 1.1.2020: Solche "Kompensatoren" gab es offenbar nicht nur in Italien – ein Plan in Hans G. Wäglis "Hebel, Riegel und Signale" zeigt eine solche Einrichtung auf dem Lageplan eines Schweizer Bahnhofs von 1885!Rapolano Terme ist ein kleiner Bahnhof nahe Asciano, dessen Ausfahrt in einer weiten Kurve um den höhergelegenen Ort liegt. Die Signalisierung war minimal: Auf der beiden Seiten gab es Semaphore als Einfahrsignale, auf einer Seite auch noch ein Signal, das wie ein Ausfahrsignal angeordnet war, aber keines war, und darüber hinaus muss es noch ein viertes Signal gegeben haben, alles zusammen mit einer sonderbaren Anordnung der "Bedienstellen" (Stellwerke will ich nicht sagen). Der Bahnhof war mehr oder weniger kurz vor einem Umbau auf Lichtsignale und fernbediente Weichen – diese waren schon installiert, aber noch nicht in Betrieb. Die folgenden Bilder zeigen noch die alten mechanischen – und eben interessanten – Sicherungsanlagen.
Das folgende Bild ist eine Skizze der Gleisanlagen, Signale und ihrer Bedienstellen. Den einen Semaphor (2), den ich fotografiert habe, habe ich fest eingezeichnet. Alle anderen Semaphore, die ich nicht gesehen und nicht fotografiert habe, von denen ich aber Signalhebel dokumentiert habe, sind mit strichliertem Mast eingezeichnet. Zwei von ihnen, die als Einfahrsignale dienten, waren sicher vorhanden:
- Den einen auf der Seite Sinalunga (Chiusi) habe ich mit * bezeichnet, weil sein Signalhebel – den wir gleich sehen werden – keine Nummer trug.
- Ein weiterer befand sich hinter der Straßenbrücke auf der Seite Asciano, er hatte einen Hebel mit Nummer 1.
Die Bedieneinrichtungen habe ich als kleine Stellwerke eingezeichnet: Im Bahnhof selbst standen zwei Signalhebel, je einer für jedes Einfahrsignal. Darüberhinaus gab es ein kleines "Stellwerk" neben einem Bahnübergang, wo sich ebenfalls zwei Signalhebel befanden – die Hebel sieht man alle auf folgenden Bildern, und ich denke, dass meine Zuordnung zu den Signalen stimmen könnte.
Zuletzt habe ich noch die zwei Spannwerke, die ich tatsächlich fotografiert habe, ergänzt und sie in eckigen Klammern Signalen zugeordnet. Ziemlich sicher gab es auch für die anderen beiden Signale – das Deckungssignal 1 aus Richtung Sinalunga und das Einfahrsignal 1 aus Richtung Asciano – solche Spannwerke, weil auch deren Hebel "drahtnachlassend" waren, aber eingezeichnet habe ich sie nicht:
Gleis- und Signalplan von Rapolano Terme um 1990
Aber sehen wir uns nun die Anlagen im einzelnen an.
Das erste Foto ist von der Ausfahrt des Triebwagens, der uns von Asciano nach Rapolano Terme gebracht hat. Links sieht man die neuen Ausfahrsignale auf einem Ausleger, im Hintergrund ein Signal, das wie ein Ausfahrsignal aussieht, weil es an der entsprechenden Stelle steht. Am Streckengleis verlässt der Dieseltriebwagen unter einer kleinen Rauchwolke den Bahnhof:
Ausfahrt eines Aln663, neue Ausfahrsignale und alter Semaphor, Rapolano Terme, Mai 1990
Nach der Ausfahrt des Zuges steht der Semaphor noch lange in Freistellung. Wäre das ein richtiges Ausfahrsignal, könnte es längst vom Fahrdienstleiter auf Halt gestellt werden: Deshalb, und weil es im Bahnhof auch keinen Signalhebel für dieses Signal gibt, meine ich, dass es kein Ausfahrsignal, sondern ein Deckungssignal für einige Bahnschranken ist, die sich hinter der langgezogenen Kurve rund um den höhergelegenen Ort befinden:
Semaphor steht noch auf Frei, Rapolano Terme, Mai 1990
Nach einiger Zeit geht der Semaphor nun doch auf Halt – der Zug ist nun wohl beim Schrankenposten vorbei, der die Deckungssignale bedient:
Semaphor geht auf Halt, Rapolano Terme, Mai 1990
Semaphor, Rapolano Terme, Mai 1990
Hier sieht man den Signalarm aus der Nähe. Wie in Britannien werden auch die italienischen Formsignale nur mit einem einzelnen Zugdraht freigestellt:
Semaphor, Rapolano Terme, Mai 1990
Schon beim ersten Blick hinter dem Triebwagen her haben wir die neuen Signale gesehen; hier ist nun ein Weichenantrieb für den kommenden Fernstellbetrieb zu sehen. Er ist zwar schon fest an der Weiche montiert, aber weder die Stellstangen noch die Riegelstangen sind eingebaut, wie man an den vier freiliegenden Augen sieht:
Neuer Weichenantrieb, noch nicht eingebunden, Rapolano Terme, Mai 1990
Beim Bahnübergang im Bahnhofsbereich, direkt vor dem Deckungssignal, sieht man einerseits den alten, mechanischen Antrieb, davor aber auch schon den neuen elektrischen und auch dazugehörige Blinklichter. Am neuen Antrieb fehlen aber noch die roten Punkte auf dem Löffelrad:
Alter und neuer Schrankenantrieb, Rapolano Terme, Mai 1990
Ich habe mich dann auf den Weg zurück zum Bahnhof gemacht und dabei einen alten Ladekran aufgenommen. Das Bild hatte aus irgendeinem Grund einen weißen, voll belichteten Streifen, den ich im Diarahmen mit einem schwarzen Filmstück abgedeckt habe. Leider ist dieses Stück irgendwann vor dem Scannen verrutscht – das Ergebnis ist nun schlechter als ohne die Abdeckung – nun ja. Der Kran ist übrigens immer noch vorhanden – auf Satellitenaufnahmen des Bahnhofs und auf Google Street View kann man ihn schön erkennen, wie er dort nutzlos herumsteht:
Alter Ladekran, Rapolano Terme, Mai 1990
Das folgende Bild zeigt einerseits den Kurbelantrieb für den Schranken, den wir gerade gesehen haben, andererseits den Hebel für das Einfahrsignal aus Richtung Sinalunga. Der Hebel ist hier in der verschlossenen Grundstellung zu sehen – der Gewichtshebel ist mit einer kleinen Kette und einem Verschlussstück in dem Schloss am Signalbock festgelegt. Sehr interessant ist, dass das Signal offensichtlich durch Nachlassen des Signaldrahtes freigestellt wird – das ist ja nun wirklich "ein starkes Stück" für eine Sicherungsanlage: Denn es bedeutet ja, dass ein Drahtriss ebenfalls zur Freistellung führt! Wie kann so eine Konstruktion nur erlaubt sein? Wir werden weiter unten sehen, dass das Problem nicht ganz so gravierend ist, wie man glauben könnte – aber eine wasserdichte Konstruktion ist das eher nicht. Am Schrankenantrieb sieht man oben zwei rote Ringe, was m.W. bedeutet, dass der Schranken offen ist:
Schrankenantrieb und Einfahrsignalhebel aus Richtung Sinalunga, Rapolano Terme, Mai 1990
Hier ist derselbe Hebel von der anderen Seite aufgenommen:
Einfahrsignalhebel aus Richtung Sinalunga, Rapolano Terme, Mai 1990
Zum Vergleich ist hier noch einmal das Bild der Signalhebels aus Albano Laziale, wo der Signaldraht beim Umlegen gezogen wird. Beim Vergleich der zwei Hebel sieht man, dass der Hebelarm (d.h. der Abstand der Drahtanlenkung von der Hebelachse) in Albano nur etwa halb so groß wie in Rapolano – es muss also irgendwo eine Untersetzung 2:1 stattfinden (wenn man annimmt, dass die Semaphore immer denselben Drahtweg zum Freistellen benötigten):
Signalhebel, Albano Laziale, Mai 1990
Wie funktioniert das aber mit dem Signal? – dort wird ja der Arm auf jeden Fall durch einen Draht in die Freistellung gezogen! Ich machte mich auf, das Geheimnis zu lösen, indem ich mich auf den Weg zum Signal machte ...
Am Weg dorthin traf ich dann auf das Spannwerk. Ich kenne keine Beschreibung seiner Funktion, aber ich denke, dass man diese prinzipiell aufgrund der einfachen Konstruktion schon herausfinden kann.
Spann- und Ausgleichswerk des "Ausfahrsignals", Rapolano Terme, Mai 1990
Das folgende Diagramm zeigt die prinzipielle Anordnung eines solchen Spannwerks zwischen Signalhebel (links) und Signal (rechts). Wenn man oben am Hebel zieht, wird das (rot gezeichnete) Seil nachgelassen. Am Spannwerk dreht das Gewicht dadurch die Doppelrolle im Uhrzeigersinn, wodurch das blau gezeichnete Seil zum Spannwerk gezogen wird und es damit den Signalflügel nach unten in die Freistellung zieht:
Beim Rückstellen des Signalhebels wird über das rote Seil die Doppelrolle am Spannwerk gegen den Uhrzeigersinn zurückgedreht und damit das Gewicht nach oben gehoben. Das blaue Seil wird dadurch nachgelassen, und der Signalflügel kann (durch ein nicht eingezeichnetes Gegengewicht) in die waagrechte Haltstellung gehoben werden. Das Gegengewicht am Signalhebel hilft bei der Rückstellung, das schwere Gewicht am Spannwerk nach oben zu heben.
Hier sieht man die Doppelrolle aus der Nähe. Links oben kommt das Seil vom Signalhebel, nach oben geht das Seil zum Zuggewicht, und rechts geht das Seil zum Signal. Vor dem Spannwerk läuft der Draht eines anderen Signals (nämlich des Einfahrsignals) vorbei, er hat mit dieser Konstruktion nichts zu tun.
Spann- und Ausgleichswerk, Rapolano Terme, Mai 1990
Tatsächlich ist das Seil, das im Diagramm rot dargestellt ist, unterbrochen – man sieht das an folgendem Detailausschnitt. Offenbar ist das Seil über einen verschiebbaren Hebel angelenkt, der wohl bei einem Seilriss auf irgendeine Art auskuppelt, sodass das Signal von selbst auf Halt fällt. Wie das genau funktioniert, lässt sich aber aus meinen wenigen Bildern nicht herausfinden:
Spann- und Ausgleichswerk, Rapolano Terme, Mai 1990
Wegen der gegenläufigen Bewegung der zwei Drähte kann das Spannwerk auch als Ausgleich der temperaturbedingten Seilausdehnung oder -verkürzung dienen, wenn es an der passenden Stelle aufgestellt wird. Auf den Bildern erkennt man, dass die zwei verbundenen Rollen ein Durchmesserverhältnis von etwa 1:2 haben, wie auch auf der Skizze oben gezeichnet. Die folgende Skizze zeigt die Anordnung im Drittelpunkt zwischen Signal und Hebel, wodurch sich Längenänderungen bei gleichmäßiger Erwärmung genau ausgleichen:
Auf meinem weiteren Weg entlang des großen Bogens um Rapolano Terme herum bin ich auf ein weiteres solches Spannwerk gestoßen. Es ist in die Drahtzugleitung vom Bahnhof zum Einfahrsignal aus Richtung Sinalunga eingeschaltet:
Spann- und Ausgleichswerk, Rapolano Terme, Mai 1990
Schließlich habe ich beim Kilometer 214.101 den Schrankenposten erreicht, an dem einerseits zwei Schrankenkurbeln standen. Bei beiden sind oben weiße Ringe zu sehen – die Schranken sind geschlossen, ein Zug ist zu erwarten:
Schrankenkurbeln am Schrankenposten, Rapolano Terme, Mai 1990
Daneben gab es hier auch zwei Signalhebel. Der linke, mit der Nummer 1, ist mit einem Deckungssignal aus Richtung Sinalunga verbunden und steht hier in Grundstellung, d.h. das Signal steht auf Halt. Der rechte bedient das "Ausfahrsignal" im Bahnhof, und er ist umgelegt, d.h. das Signal steht in Freistellung:
Signalhebel am Schrankenposten, Rapolano Terme, Mai 1990
Und hier kommt auch schon der Triebwagen vom Bahnhof herunter zum Schrankenposten und weiter nach Sinalunga:
Aln668 3212, Rapolano Terme, Mai 1990
Leider bin ich von dort die – m.E. kurze – Distanz zum Einfahrsignal aus Richtung Sinalunga nicht mehr gegangen, was ewig schade ist ...
Nach meiner Rückkehr habe ich das Bahnhofsgebäude aufgenommen, mit einigen abgestellten Wagen im Hintergrund (die ich hochgradig ignoriert habe, wie auch die Personenwagen auf dem Gleis daneben):
Bahnhofsgebäude, Rapolano Terme, Mai 1990
Hier sieht man nun den letzten Signalhebel, nämlich den für das Einfahrsignal aus Richtung Asciano:
Einfahrsignalhebel 1 aus Richtung Asciano, Rapolano Terme, Mai 1990
Einfahrsignalhebel 1 aus Richtung Asciano, Rapolano Terme, Mai 1990
Weil's so schön aussieht, habe ich das durchgehende Gleis Richtung Asciano mit der Straßenbrücke weit im Hintergrund auch aufgenommen. Ganz klein sieht man die neuen, noch dunklen Ausfahrsignale:
Strecke Richtung Asciano, Rapolano Terme, Mai 1990
Und hier sehen wir ein letztes Mal den Antrieb für den Schranken im Bahnhofsbereich direkt vor dem "Ausfahrsignal". Weiße Ringe bedeuten wieder, dass er geschlossen ist:
Schrankenkurbel, Rapolano Terme, Mai 1990
Zuletzt ist hier der Signalhebel für das Einfahrsignal * umgelegt – unser Zug kommt, der uns zurück nach Siena gebracht hat. Davon gibt's aber keine Bilder mehr:
Schrankenantrieb und Einfahrsignalhebel aus Richtung Sinalunga, Rapolano Terme, Mai 1990