Mittwoch, 18. September 2013

Die Funktionsweise des österreichischen Regelstellwerks 5007

Extended English version of this posting

Ich will hier endlich einmal in ein paar Postings die prinzipielle Funktionsweise und Bedienung des österreichischen Regelstellwerks erklären. Im Unterschied zu vorhandenen Erklärungen, insbesondere auch in Büchern, möchte ich hier die Möglichkeiten des Internets ausnützen: Animationen und kurze Filmsequenzen sollen die Erklärungen anschaulich machen.

Diese etwas größeren Animationen sind mein erster Versuch in diesem Metier. Obwohl ich nun schon über zwei Monate daran arbeite, bin ich noch nicht durchgängig zufrieden – insbesondere die "Kameraführung" ist momentan noch statisch: Da könnte man mehr draus machen. Wenn jemand fachkundige oder auch "einfach so" Anregungen oder Anmerkungen hat, bitte ich um Nachricht!

In diesen Postings will ich das Regelstellwerk aus Sicht der Bediener, also der Fahrdienstleiter und Stellwerker erklären. Wie das 5007er-Stellwerk "innen drin" funktioniert, also insbesondere die echte Mechanik des Schieberkastens und die nötigen elektrischen Schaltungen, werde ich hier nicht im Detail vorstellen. Allerdings werde ich trotzdem Bilder und Animationen einer Mechanik zeigen, die die inneren Zusammenhänge erklärt – anders kann man meiner Meinung nach ein Stellwerk nicht verstehen. Nur ist das, was ich zeige, gegenüber der Realität enorm vereinfacht, weil sonst diese Teile wieder beliebig erklärungsbedürftig wären (vielleicht finde ich allerdings später einmal Zeit für tiefergehende Beschreibungen).

Hier ist, als Vorgeschmack, ein Überblicksdiagramm dieser Mechanik, deren Details ich später erkläre.


In den Erklärungen gehe ich von der regulären alten österreichischen Anordnung aus, nämlich einer Fahrdienstleitung mit Befehlswerk in der Mitte des Bahnhofs und zwei Endstellwerken. Andere Anordnungen – z.B. Mittelstellwerke, weitere Stellwerke oder auch das Zusammenwirken mehrerer Fahrdienstleitungen – erkläre ich vielleicht irgendwann in getrennten Postings. Als Signale nehmen wir zuerst Formsignale an. Auf die Streckenblockung gehe ich momentan gar nicht ein, d.h. ich nehme an, dass der beschriebene Bahnhof an einer Strecke ohne Streckenblock liegt.

Meine Erklärung wird so vor sich gehen, dass ich den Ablauf einer Zugfahrt ungefähr viermal erkläre und dabei immer weiter auf technische Details eingehe. Betriebliche Regelungen werde ich kaum erwähnen, erstens weil ich mich damit kaum auskenne, zweitens um die Sache nicht noch komplizierter zu machen ...


1. Der Ablauf einer Zugfahrt in Kürze


Bei einer Zugfahrt durch einen Bahnhof spielt sich Folgendes ab:

  • Drei bis fünf Minuten vor der voraussichtlichen Ankunftszeit gibt der Fahrdienstleiter über das Befehlswerk den beiden Stellwerken die Befehle für Ausfahrt und Einfahrt. Dabei werden die Stellwerker auch über das zu befahrende Gleis informiert.
  • Jeder der Stellwerker stellt daraufhin die Weichen passend, verschließt dann die Weichen mechanisch und elektrisch (der elektrische Verschluss wird Fahrstraßenfestlegung genannt) und kann nun sein Signal auf Frei stellen (Ausfahrsignal im Stellwerk auf der Ausfahrseite, Einfahrsignal und Einfahrvorsignal im Stellwerk auf der Einfahrseite). Durch den Verschluss der Weichen wird die gesetzlich geforderte Signalabhängigkeit erreicht.
  • Wenn der Zug vorbeifährt, löst er über einen elektrischen Kontakt eine so genannte "Tastensperre" aus.
  • Jeder Stellwerker beobachtet, ob der Zug ein Zugschlusssignal am letzten Wagen hat und daher vollständig die Strecke geräumt hat. Daraufhin stellt er das Signal wieder auf Halt und gibt über den Blockapparat den Befehl zurück (was nur möglich ist, wenn die Tastensperre ausgelöst hat).
  • Der Fahrdienstleiter löst daraufhin die Fahrstraßen auf, und auf den Stellwerken können die Weichen nun wieder frei gestellt werden – um Verschub durchzuführen oder Fahrstraßen für andere Zugfahrten zu stellen.


2. Funktionsgruppen


Die folgenden Bilder zeigen die nötigen Anlagen für diesen Vorgang.

Am Befehlswerk in der Fahrdienstleitung sind drei Funktionsgruppen nötig:
  • Fahrstraßenknaggen (offiziell "Knebel" genannt) zur Auswahl des zu befahrenden Gleises im Schritt 1 des obigen Ablaufes.
  • Der Blockapparat zur Abgabe von Befehlen (Schritt 1) und zur Fahrstraßenauflösung (Schrit 5).
  • Eine Gleisanzeiger-Taste im Blockaufbau, die die Information über das zu befahrende Gleis am Stellwerk sichtbar macht (Schritt 1).

Am nächsten Bild sieht man einen Fahrdienstleiter bei der Befehlsabgabe (Schritt 1) im Bahnhof Ziersdorf, mit Kennzeichnungen dieser Anlagenteile. Das Originalbild dazu befindet sich in diesem Posting. Die Beschriftung der Blockfelder bedeutet dabei:
  • Ba = Befehlsabgabe
  • Fa = Fahrstraßenauflösung
Diese Begriffe wurden erst in den dreißiger Jahren – und konsequent dann während des Anschlusses von Österreich an das Deutsche Reich – eingeführt. Die davor üblichen, "genuin österreichischen", aber nun eben schon lange historischen Begriffe werden weiter unten erwähnt.


Am Stellwerk sind vier Funktionsgruppen nötig:
  • Der Blockapparat zur Entgegennahme und Rückgabe eines Befehls (für Schritte 1 und 4) sowie zum Festlegen der Fahrstraße (im Schritt 2).
  • Der Gleisanzeiger zur Information über das zu befahrende Gleis (für Schritt 1).
  • Fahrstraßenknaggen zum mechanischen Verschluss der Weichen (im Schritt 2).
  • Die Hebelbank mit den Weichen- und Signalhebeln (für Schritt 2).

Auf den folgenden zwei Bildern sieht man diese Anlagenteile im Stellwerk 1 von Ziersdorf. Die Beschriftung der Blockfelder bedeutet hier:
  • Be = Befehlsempfang
  • Ff = Fahrstraßenfestlegung
  • Ts = Tastensperre
Die Funktionen aller Blockfelder erkläre ich weiter unten.



Im Folgenden konzentriere ich mich nur mehr auf ein Stellwerk, eine Fahrtrichtung und ein Bahnhofsgleis – also insgesamt eine Fahrstraße. Ich "schneide" also sozusagen aus den obigen Anlagen die folgenden Teile heraus:


Außerdem sehen wir uns einen ganz kleinen Bahnhof an, der
  • nur eine einzige Weiche an jedem Bahnhofskopf hat,
  • ohne eine zusätzliche Verriegelung der Weichen auskommt (die Geschwindigkeit bei der Einfahrt ist auf 40km/h begrenzt),
  • nur einflügelige Einfahrsignale hat
  • und trotzdem Endstellwerke besitzt.
(Ob es in Österreich Bahnhöfe mit all diesen Eigenschaften gegeben hat, weiß ich nicht – es gab aber zumindest Beispiele für Endstellwerke, die nur eine Weiche zu bedienen hatten, etwa den Bahnhof Hintergasse auf der Arlbergbahn oder die Betriebsausweiche Strechau).

Bevor allerdings die "optischen Genüsse" kommen, beschreibe ich die Abläufe noch etwas genauer in textueller Form.

3. Ablauf als Zustandstabelle


Die folgende Tabelle beschreibt den Regelablauf des Zusammenspiels von Befehlswerk und Stellwerk (zu einer Erklärung solcher Tabellen siehe dieses Posting). Die Textfarben bei den Zuständen der Blockfelder entsprechen den jeweils sichtbaren Farbscheiben. Ein Klick auf die Tabelle öffnet eine lesbarere PDF-Datei:


Neben diesem Regelablauf gibt es unzählige andere Abläufe bei Störungen an der Anlage oder im Betriebsablauf. Zum Beispiel muss ein abgegebener Befehl wieder zurückgenommen werden können, wenn der zurückliegende Bahnhof die Reihenfolge der Züge ändern muss; oder es muss möglich sein, bei untauglichem Signal trotzdem die Fahrstraßen festzulegen und wieder aufzulösen. Erst diese Anforderungen bewirken, dass die genaue technische Ausbildung der einzelnen Teile ziemlich verzwickt wird – aber alles das ignorieren wir in dieser Beschreibung. Vielleicht komme ich später dazu, einzelne dieser besonderen Abläufe zu erklären.

4. Animation


Die folgenden sechs Animationen zeigen nun den Ablauf für eine Zugfahrt aus Sicht der Bediener. Die Anlagen sind hier noch mit den üblichen grün lackierten Blechtafeln verschlossen (im nächsten Posting schauen wir dann, was sich dahinter abspielt – ich denke, dann wird's richtig interessant). Bei jeder Animation blinken vor einer Bedienung orange Pfeile dort, wo gleich was passiert. Die Außenanlage habe ich relativ spartanisch modelliert. Insbesondere fehlt bei der Weiche der Spitzenverschluss – wenn ich einmal viel Zeit habe, baue ich den auch noch dazu. Die Nummern nach den folgenden Überschriften beziehen sich auf die Beschreibung in der Tabelle aus dem letzten Abschnitt.
Die Animationen sollten eine genügend hohe Auflösung haben, um sie auch im Vollbildmodus ansehen zu können – dann erkennt man vielleicht noch einige Details mehr.

4.1. Fahrdienstleitung: Befehlsabgabe (2,3)


Durch das Blocken des Befehlsabgabe-Feldes gibt der Fahrdienstleiter dem Stellwerker die Möglichkeit, das Signal freizustellen. Deshalb hieß dieses Feld früher auch "Signalverschluss". Zugleich wird im Befehlswerk verhindert, dass Befehle für andere feindliche Fahrten abgegeben werden können.

Durch das Antippen der Gleisanzeiger-Taste fällt im Stellwerk eine kleine Klappe mit der Gleisnummer, zugleich schlägt dort auch ein Wecker an. Diese Betätigung ist sicherheitstechnisch nicht relevant und wurde (und wird) daher in der Praxis auf vielen Bahnhöfen unterlassen, wenn der Zug auf das Regelgleis lt. Fahrplan einfährt – am Stellwerk kann auf jeden Fall nur die Fahrstraße festgelegt werden, die auch im Befehlswerk ausgewählt wurde.



Das folgende kurze Video zeigt diesen Ablauf in der Fahrdienstleitung von Sigmundsherberg ...



... und das Entblocken des Be-Feldes am Stellwerk:



(Leider fehlt in den Videos das charakteristische "Blockfeld-Rattern" – vielleicht komme ich einmal dazu, die Geräusche noch darunterzulegen).

4.2. Stellwerk: Fahrstraße und Signal stellen (4,5,6,7)


Der Stellwerker stellt nun die Weichen – und in der Regel auch die Weichenriegel – passend für die befohlene Fahrstraße. Für eine Einfahrt am durchgehenden Hauptgleis ist hier oft nur das Verriegeln nötig, wenn nicht wegen eines vorangegangenen Verschubes noch Weichen gegen die Grundstellung stehen.

In unserem Beispiel soll allerdings eine Fahrt ins Gleis 2 stattfinden, sodass die Weiche in die Minusstellung gelegt werden muss. Beim Umstellen kann man beobachten, dass die Mechanik zum Verschlusskasten durch die Handfalle bewegt wird, nicht aber beim Umstellen des Hebels: Das Anziehen der Handfalle in der Grundstellung bewirkt die erste Hälfte der Bewegung, das Loslassen nach dem Umstellen schließt die Bewegung des Verschlusshebels ab.

Danach werden die Weichen durch Umlegen der Fahrstraßenknagge mechanisch verschlossen: Ein Schieber im Verschlusskasten verhindert nun die Bewegung des Verschlusshebels und damit der Handfalle – dadurch kann der Hebel nicht mehr ausgeklinkt werden.

Dieser Schieber wird nun wiederum durch das Blocken des Fahrstraßenfestlegefeldes blockiert, sodass die Weichen nun "unter elektrischem Verschluss" liegen – daher hieß dieses Feld früher auch "Weichenverschluss". Der Stellwerker hat sich nun "eingesperrt" – ohne Hilfe des Fahrdienstleiters kann er die verschlossenen Weichen nicht mehr aus ihrer Lage bewegen.

Dafür kann er nun schlussendlich das Signal frei stellen, das durch das Befehlsempfangsfeld entriegelt wurde.



Hier sind zwei kurze Videos von Teilen dieses Ablaufs: Am Stellwerk wird das Ff-Feld geblockt ...



..., in der Fahrdienstleitung sehen wir noch einmal den Ablauf von vorher, aber nun ergänzt darum, dass das Fa-Feld in die entblockte Stellung läuft (der Stellwerker muss hier schon nahe am Blockwerk auf den Befehl gewartet haben, weil die Festlegung so kurz nach der Befehlsabgabe erfolgt):




4.3. Zugfahrt (8)


Die Rückgabe des Befehls an den Fahrdienstleiter durch Blocken des Be-Feldes wird ja dazu führen, dass von dort die Fahrstraße aufgelöst werden kann und damit die Weichen wieder frei stellbar sind. Unter Druck könnte der Stellwerker allerdings den Befehl schon vor oder während der Zugfahrt zurückgeben, die Fahrstraße kurz darauf aufgelöst bekommen, und nun womöglich noch Weichen unter einem langsam einfahrenden Zug umstellen, der daraufhin entgleisen würde.

Um das zu verhindern, soll der Zug selbst bei der Auflösung mitwirken. Das tut er, indem er über eine kurze isolierte Schiene die "Tastensperre" auslöst – erst danach kann der Stellwerker den Befehl zurückgeben. In der Animation sieht man allerdings zweierlei:
  • Die Tastensperre löst schon aus, wenn die erste Achse des Zuges die Isolierschiene befährt! Allerdings bleibt ein Relais angezogen, bis die letzte Achse diese verlässt, und über einen eigenen Kontakt wird während dieser Zeit das Blocken des Be-Feldes verhindert. Dadurch ist die Befehlsrückgabe erst möglich, wenn der ganze Zug die Isolierschiene verlassen hat.
  • Aber auch in diesem Fall fährt der Zug bei einer Einfahrt noch über die Weiche (oder bei größeren Bahnhöfen evtl. über mehrere Weichen), während schon eine Befehlsrückgabe und damit eine Fahrstraßenauflösung möglich ist! Bei einem langsamen Zug und einer längeren Fahrstraße (etwa der Einfahrt eines Güterzugs auf ein hinteres Bahnhofsgleis) würde die Zeit nun doch reichen, nach einer sofort erfolgten Fahrstraßenauflösung die Weichen unter ihm umzustellen. Dieser Fehler sollte in den originalen Anlagen – von denen manche allerdings bis mindestens in die 1980er Jahre überlebt haben! – durch das "4-Augen-Prinzip" verhindert werden, also durch die Teilnahme auch des Fahrdienstleiters an der Fahrstraßenauflösung. Später allerdings wurde für Einfahrten in jedes Bahnhofsgleis eine eigene Isolierschiene gelegt, sodass die Tastensperre tatsächlich erst nach der vollständigen Fahrt über alle Weichen des Zuges auslöste (diese Isolierschienen in den Bahnhofsgleisen erforderten dann an Weichen die Unterscheidung zwischen der "großen" und der "kleinen" Grenzmarke: Die "kleine", rot-weiße kennzeichnet in diesem Fall die Stelle, wo die Gleise weit genug auseinanderliegen; die "große", schwarz-weiße kennzeichnet das Ende der Isolierschiene, also die Stelle, bis zu der eine Zugfahrt die Weiche geräumt haben muss, damit die Tastensperre auslöst). An der grundsätzlichen Bedienung der Stellwerke, insbesondere der Mitwirkung des Fahrdienstleiters bei der Fahrstraßenauflösung, hat man aber nichts geändert.



4.4. Stellwerk: Signal zurückstellen (9,10)


Der Stellwerker prüft nach der Einfahrt, ob der Zug "mit (Zug-)Schluss" eingefahren ist – nur dann ist die Strecke sicher frei und kann für eine nächste Zugfahrt befahren werden. Danach stellt er das Signal auf Halt und blockt das Befehlsempfangsfeld zurück. Die Weichen bleiben aber weiterhin durch das Fahrstraßenfestlegefeld, das den Fahrstraßenschieber festhält, verschlossen.

Zugleich mit dem Blocken des Be-Feldes wird auch die Tastensperre wieder in die Sperrstellung geblockt – damit ist sichergestellt, dass für eine weitere Zugfahrt ein neuer Befehl nötig ist.



4.5. Fahrdienstleitung: Fahrstraße auflösen (11,12)


Die eigentliche Auflösung der Fahrstraße erfolgt durch den Fahrdienstleiter: Er blockt sein Fahrstraßenauflösefeld und gibt damit den Fahrstraßenschieber am Stellwerk wieder frei.



4.6. Stellwerk: Weichen in Grundstellung bringen (13)


Das entblockte Ff-Feld erlaubt nun dem Stellwerker, die Fahrstraßenknagge wieder in die senkrechte Stellung zu legen. Der Fahrstraßenschieber gibt damit endgültig die Weichen (und Weichenriegel) frei, die nun wieder frei stellbar sind – für Verschub oder Zugfahrten in oder aus anderen Gleisen oder auch nur, um sie wieder vorschriftsgemäß in die Grundstellung zu bringen.




Das waren die ersten drei Erklärungen (eine kurze, eine Tabelle, eine Reihe von Animationen) des Zusammenspiels von Befehlswerk und Stellwerk in Österreich. Im nächsten Posting schauen wir dann, was sich hinter den grünen Abdeckungen abspielt!