Offenbar besuche ich in jedem Urlaub ein paar Turmuhren. 2012, in Italien, waren es Turmuhren in Lucca and Cardoso in der Toskana.
Da im Titel dieses Blogs was von "... anderen Maschinen" steht, zeige ich daher nun ein paar Fotos und Videos von drei englischen Turmuhren:
- Zuerst stiegen wir auf den "Clock Tower" in St.Albans,
- dann auf den Kirchturm in South Mimms,
- und schließlich auf den Turm von St. Mary’s in Oxford.
Als erstes zeige ich hier einige Bilder und Videos der Uhr in St.Albans. Diese Uhr hat einen Denison-Schwerkraftgang. Diese Hemmung wurde von Edmund Beckett Denison erfunden (der sich später Edmund Beckett nannte und dann Lord Grimthorpe wurde – auch unter diesen Namen ist die Hemmung bekannt). Der Denisongang wird auch als "Westminstergang" bezeichnet, weil er in der berühmten Uhr am Big Ben verwendet wird, die von Edmund Beckett geplant wurde. Vom Denisongang gibt es verschiedene Versionen: Am Big Ben wird ein doppelter dreiarmiger Densiongang verwendet, während die Uhr in St.Albans einen einfachen vierarmigen Denisongang hat:
Uhrturm St.Albans, 25.8.2013
Uhrturm St.Albans, 25.8.2013
Das folgende Bild zeigt das Uhrwerk. Pendel und Hemmung finden nicht im Uhrwerk Platz, sondern sind an der gegenüberliegenden Wand angebracht. Eine Welle (die man im Bild oben sieht) verbindet das Uhrwerk mit der Hemmung. Hinter dieser Welle sieht man den Windfang (also die Luftbremse) des Schlagwerks. Ursprünglich wurde diese Uhr natürlich von Hand aufgezogen, aber wie fast alle mechanischen Turmuhrwerke wurde sie irgendwann mit einem elektrischen Aufzug versehen. Deshalb trägt die Seiltrommel auf der linken Seite auch kein Seil mehr. Stattdessen verbindet eine Kette (die man oberhalb der Trommel sieht) deren Antriebswelle mit dem Motoraufzug, dessen Gehäuse man ganz links sieht:
Uhr, Uhrturm St.Albans, 25.8.2013
Hier ist ein Bild der Hemmung:
Einfacher vierarmiger Denisongang, Uhrturm St.Albans, 25.8.2013
Die folgenden zwei Videos zeigen den Bewegungsablauf der Hemmung:
Die Turmuhr in South Mimms hat eine übliche Amant-Hemmung (in Deutschland wird sie als Mannhardtgang bezeichnet). Als wir den Turm in South Mimms bestiegen, war das Uhrwerk leider seit einigen Tagen außer Betrieb, weil der Aufzugsmechanismus nicht mehr funktionierte.
Hier sieht man das Uhrwerk. In der Mitte führt die Welle zu den Zeigern. Am Ende der Welle sieht man das Untersetzungsgetriebe für den Stundenzeiger. Auch bei dieser Uhr sind auf die Seiltrommeln leer – stattdessen führen Ketten zu Motoren auf der Decke des Uhrwerkgehäuses, wo getrennte Gewichte angehoben werden. Das Pendel hängt an der Rückseite der Uhr – man kann das schwere Lager hinter der Hemmung sehen. Zwei große Windfänge sind ebenfalls an der Rückseite angeordnet:
Uhrwerk, South Mimms, 26.8.2013
Auf der Gehäusedecke stehen drei Motorwinden. Die zwei Gewichte für die Schlagwerke hängen rechts von der Uhr, das Gewicht für das Zeigerwerk hängt offenbar rechts unterhalb des Uhrwerks. Oben sieht man auch eine Menge von Winkelhebeln, die die Zugdrähte zu den Glockenhämmern in der Glockenstube darüber umleiten:
Motoraufzüge und Zugdrähte für Glockenhämmer, South Mimms, 26.8.2013
Motoraufzüge und Zugdrähte für Glockenhämmer, South Mimms, 26.8.2013
Die zentrale Steuerung der Uhr erfolgt über die Hemmung:
Amanthemmung, South Mimms, 26.8.2013
Amanthemmung, South Mimms, 26.8.2013
Hier sieht man die Pendelfeder. Rechts außen ist das Steigrad teilweise zu sehen, dessen Zähne auf einer Seite abgeflacht sind. Dadurch können sie an den ziemlich dicken Paletten vorbeischlüpfen:
Pendelfeder, South Mimms, 26.8.2013
Das Untersetzungsgetriebe für den Stundenzeiger befindet sich direkt hinter dem Zifferblatt:
1:12-Getriebe für Minuten- und Stundenzeiger, South Mimms, 26.8.2013
Hier sind zwei Bilder der Schlagwerke. Im Hintergrund sieht man die Windfänge, die die Schlaggeschwindigkeit begrenzen.
Stundenschlagwerk, South Mimms, 26.8.2013
Halbstundenschlagwerk, South Mimms, 26.8.2013
Die Glocken spielen, wie in England sehr häufig, eine Melodie, die auf dieser Trommel codiert ist – im Prinzip ist das eine kleine Walzenorgel, aber mit Glocken statt Pfeifen:
Steuerung des Glockenschlagwerk, South Mimms, 26.8.2013
Was mich allerdings vollkommen verwirrt hat, war der fehlende Zählmechanismus der Schlagwerke. Prinzipiell gibt es zwei Arten von Schlagwerken:
- Die ältere Variante (mindestens 500 Jahre alt) ist das Schlossscheibenschlagwerk. Sie verwendet je Schlagwerk ein einzelnes, großes Rad mit Einschnitten nach 1, 2, 3, usw. bis zu 12 Schlägen. Eine solche Schlossscheibe kann man etwa auf der Rückseite des alten Uhrwerks von Cardoso sehen, und auch weiter unten sieht man an der Uhr von St.Mary's in Oxford eines.
- Die moderne Variante (weniger als 300 Jahre alt) ist das Rechenschlagwerk. Bei diesem wird ein gezahntes Segment verwendet, das gegen ein vom Stundenzeiger bewegtes, spiralförmiges Anschlagrad fällt. Beim Schlagen hebt ein einzelner oder doppelter Antriebszahn das Segment bei jedem Schlag um einen Zahn, bis das Segment den Lauf des Schlagwerks unterbricht. Der Vorteil dieser Bauart ist, dass sie repetitionsfähig ist, d.h., die Schlagfolge kann beliebig oft wiederholt werden. Die Biedermeieruhr, die ich hier vorgestellt habe, hat, wie viele Stutzuhren, solche Schlagwerke für Viertel- und volle Stunden. Bei Turmuhren sind sie viel weniger verbreitet, weil dort eine Repetition unnötig ist. Trotzdem hat sowohl das "neue" Schlagwerk in Cardoso wie auch die alte Turmuhr in Lucca ein Rechenschlagwerk.
Enttäuscht, dass ich offenbar doch nicht der große Fachmann war, schob ich meine Kamera tief ins Gehäuse und machte ein letztes Foto mit Blitz ... und hier sieht man, in unerwarteter Form, die zentrale Steuerung des Schlagwerk: Es ist tatsächlich eine "Schlossscheibe", die hier ihren Dienst tut!
Allerdings wird nicht die Form der üblichen Scheibe mit Ausschnitten verwendet, sondern ein Zahnrad, auf dem Stifte angebracht sind. Im folgenden Bild sieht man auf der linken Seite des Rades drei dieser kleinen Stifte; und wenn man die Zähne zwischen oberem und mittlerem sowie zwischen mittlerem und unteren Stift zählt, findet man einmal acht Zähne, das andere Mal aber nur sieben – was beweist, dass es sich um eine "Schlossscheibe" oder vielleicht eher ein "Schlossrad" handelt!
Man sieht auch, dass dieses "Schlossrad" durch einen kleinen Schöpfer mit zwei Zähnen angetrieben wird, wobei diese Zähne tatsächlich auch nur zwei vorstehende Stifte sind. Daraus ergibt sich übrigens, dass eine Umdrehung der Schöpferwelle zwei Schläge erzeugt:
Schlossrad, South Mimms, 26.8.2013
Zuletzt sieht man hier die Widmungstafel an der Vorderseite des Uhrwerks, auf der man auch das Aufstellungsdatum genannt ist:
Widmungstafel, South Mimms, 26.8.2013
Am Tag danach fuhren wir nach Oxford, wo sich am Turm von St. Mary's ebenfalls eine Turmuhr befindet, die wunderschön restauriert ist. Hier sieht man den ganzen Turm – leider habe ich vergessen, ihn von der Seite mit der Uhr zu fotografieren:
Turm von St. Mary’s, Oxford, 27.8.2013
Das Uhrwerk ist hier hinter einer Glastafel angebracht, auf der einige allgemeine Erklärungen stehen. Im Gegensatz zu den zwei vorherigen Uhren ist diese nicht auf elektrischen Antrieb umgebaut worden, sondern muss weiterhin von Hand aufgezogen werden!
Uhrwerk, St. Mary’s, Oxford, 27.8.2013
Uhrwerk, St. Mary’s, Oxford, 27.8.2013
Wegen des Glasgehäuses ist das Uhrwerk nicht ganz leicht zu fotografieren. Hier sind trotzdem ein paar Bilder der wichtigsten Teile.
Die Amanthemmung sieht praktisch gleich aus wie in South Mimms:
Amanthemmung, St. Mary’s, Oxford, 27.8.2013
Amanthemmung, St. Mary’s, Oxford, 27.8.2013
Die Stundenschläge werden hier von einer typischen großen Schlossscheibe mit Innenverzahnung gezählt (die Innenverzahnung ist nötig, weil sich ja außen die Einschnitte zur Schlagsteuerung befinden). Einen Teil der Schlossscheibe sieht man im folgenden Bild. Das andere sichtbare Rad ist mit einer Ratsche (deren Sperrrad man ebenfalls sehen kann) mit der Seiltrommel gekuppelt:
Stundenschlagwerk mit Schlossscheibe, St. Mary’s, Oxford, 27.8.2013
Das Viertelstundenwerk kann man hier sehen — man erkennt die Melodietrommel mit den Vorsprüngen, die die Glockenschlaghebel auf der rechten Seite anheben; und die Schlossscheibe mit den trapezförmigen Ausschnitten:
Viertelstundenwerk, St. Mary’s, Oxford, 27.8.2013
Im folgenden Bild sieht man den Antriebsstrang des Windfangs des Viertelstundenwerk. Einer der Windfangflügel steht senkrecht knapp vor der rückwärtigen Wand:
Viertelstundenwerk, St. Mary’s, Oxford, 27.8.2013
Und das sind alle Bilder von den Turmuhren des Jahres 2013!