Einen Tag vor dem Ende unseres Englandurlaubs bekam ich eine E-Mail von Richard Pike, der im Signalbox-Forum sehr aktiv ist. Er lud mich zu drei weiteren Stellwerken "in der Nähe" ein – was mich etwas wunderte, weil nach meinem Wissen auf den Strecken der näheren Umgebung keine mechanischen oder elektromechanischen Stellwerke mehr im Einsatz waren, und außerdem hätte ich die sicher nicht besuchen dürfen.
Als ich dann bei ihm ankam (nach einer Autofahrt von etwa einer halbe Stunde), verstand ich, was er meinte: Zwei Drittel seines Gartens sind sozusagen der Lagerplatz einer Signalbaufirma, und mittendrin stehen drei Hütten mit funktionierenden, zusammenarbeitenden Stellwerken – die an einem Simulator hängen, den Richard aus einer alten Relais-Telefonvermittlung gebaut hat!
Ich habe nur ein paar Bilder der Stellwerke gemacht, weil ich ziemlich einige Fragen stellen musste. Allerdings habe ich's wenigstens geschafft, noch ein paar Bilder eines Tappet-Frames zu machen, an dem man nun alle wesentlichen Elemente des Verschlusskastens ("locking bed") sehen kann!
Aber zuerst die Stellwerke: Hier ist das mechanische Stellwerk der Ely North Junction:
Stellwerk Ely North Junction, Richard Pikes Sammlung, 30.8.2013
Stellwerk Ely North Junction, Richard Pikes Sammlung, 30.8.2013
Stellwerk Ely North Junction, Richard Pikes Sammlung, 30.8.2013
Stellwerk Ely North Junction, Richard Pikes Sammlung, 30.8.2013
Dann gibt es die elektromechanische Anlage für Ely Dock Junction:
Stellwerk Ely Dock Junction, Richard Pikes Sammlung, 30.8.2013
Stellwerk Ely Dock Junction, Richard Pikes Sammlung, 30.8.2013
Und zuletzt ... habe ich leider vergessen, ordentliche Bilder des mechanischen Stellwerks Ely Station North zu schießen. Ein Teil von Richard ist aber auf dem folgenden Bild zu sehen:
Stellwerk Ely Station North, Richard Pikes Sammlung, 30.8.2013
Im Garten steht ziemlich einiges an Signalen herum. Das folgende mechanische Verschub-Zwergsignal hat einen Flügel, der zur Hälfte aus Gummi besteht – der Grund ist, dass Verschieber, die direkt danebenstanden, beim Stellen des Signals nicht verletzt werden sollten:
Verschubsignal mit Gummiflügel, Richard Pikes Sammlung, 30.8.2013
Ein paar ganz kleine Verschubsignale:
Verschubsignale, Richard Pikes Sammlung, 30.8.2013
Und ein Signal mit zusätzlichem "subsidiary arm" für Verschubzwecke (ein paar Details zu deren Bedeutung findet man hier):
Signal mit "subsidiary arm", Richard Pikes Sammlung, 30.8.2013
Richard war gerade dabei, einen kleinen Ground-Frame für seinen Wiedereinsatz irgendwo herzurichten. Hier lagen ein paar Teile, auf denen die Farbe trocknete:
Und hier sind nun die letzten Bilder von unserem "England-Stellwerks-Signal-Urlaub", die die wesentlichen Teile eines "tappet frames" erklären. Auf den Bilder sieht man den Frame von hinten, und des Schieberkasten ist schon geöffnet. Etwas Werkzeug und – nun ja – sonst noch Zeugs liegt neben und auf dem Frame – so ist das halt ...
Hier sieht man den Schieberkasten aus der Nähe. Das ist eigentlich ein ziemlich simples Stellwerk – es gibt viel größere und auch trickreichere. Trotzdem kann man hier eine Reihe wichtiger "Muster" sehen, wie in englischen Stellwerken der gegenseitige Verschluss von Hebeln erreicht wird – ich werde gleich ein paar erklären:
Für den Anfang schauen wir uns noch einmal an, wie zwei nebeneinanderliegende Hebel gegeneinander verriegelt werden (was ich schon an dem "ground frame" in Wansford dargestellt habe). Am folgenden Bild sieht man die zwei "tappets" (Verschlusseisen) und dazwischen die zwei Hälften des "wedge" (Verschlusselement – wörtlich "Keil"). Der linke Hebel ist in dieser Situation verschlossen – klar warum?
Deswegen:
- Um den linken Hebel umzulegen, müsste sich sein Verschlusseisen verschieben (im Bild Richtung oben, weil wir den Hebel ja von hinten sehen).
- Dadurch würde die linke Hälfte des Verschlusselements durch die abgeschrägte Kante nach rechts gedrängt werden.
- Der rechte Teil des Verschlusselements müsste dann auch nach rechts gehen, weil sich die zwei Hälften oben und unten berühren.
- Das ist aber unmöglich, weil das rechte Verschlusseisen dort keinen Ausschnitt hat, in den sich das Verschlusselement hineinschieben ließe!
Wie kann man ihn frei bewegbar machen? Dazu muss der rechte Hebel umgestellt werden. Das folgende Bild zeigt den ersten Teil der Bewegung – das rechte Verschlusseisen hat sich schon ein wenig bewegt (das sieht man daran, dass sich der Ausschnitt auf seiner rechten Seite nach oben verschoben hat). Der linke Hebel ist aber noch immer verschlossen:
Wenn aber der rechte Hebel ganz umgestellt ist, stellt sich nun aber ein Ausschnitt an der linken Seite seines Verschlusseisens vor das Verschlusselement. Dadurch kann sich dieses nach rechts verschieben! (Leider ist mir da eine Hand ins Bild geraten – wahrscheinlich meine – keine Ahnung, was sie da zu suchen hatte ...):
Und jetzt kann der linke Hebel umgestellt werden! Am folgenden Bild sehen wir, wie sich sein Verschlusseisen ein Stück bewegt hat: Die abgeschrägte Kante seines Ausschnitts hat das Verschlusselement nach rechts gedrängt, wo es nun den rechten Hebel verschließt:
Wenn der linke Hebel zurückgestellt wird, steht der Ausschnitt in seinem Verschlusseisen wieder vor dem Verschlusselement. Dieses wird aber noch in der vorherigen Stellung liegen bleiben, bis es durch das Umstellen des rechten Hebels wieder zurückgedrängt wird. Hier sieht man die Stellung, nachdem der linke Hebel wieder zurückgestellt wurde (die zwei Verschlusseisen sind hier ganz links außen):
Vier Bilder weiter oben ist dann die Stellung zu sehen, wenn der rechte Hebel das Verschlusselement wieder nach links geschoben hat.
Bis jetzt haben wir nur zwei direkt benachbarte Hebel betrachtet. In vielen Fällen ist es aber nötig, dass auch Hebel gegeneinander verschlossen werden, die auf der Hebelbank in einigem Abstand montiert sind. Dazu gibt es die Verbindungsschieber ("connecting rods"). Das nächste Bild zeigt ein einfaches Beispiel: Wir haben drei Hebel – einen links, einen in der Mitte und einen rechts. Der linke Hebel soll gegen den rechten verschlossen werden, der mittlere soll ignoriert werden. So geht die einfache Lösung:
- Zwei Verschlusselemente liegen neben Verschlusseisen der äußeren beiden Hebel.
- Unter den Verschlusseisen läuft ein Schieber, der über zwei Ansätze die Verschlusselemente verschiebt oder von ihnen verschoben wird.
Der Verbindungsschieber hat zwei Vorsprünge, die die Verschlusselement mitnehmen oder von ihnen mitgenommen werden. Man sieht, dass der Verbindungsschieber nicht mittig zu den Verschlusselementen liegt, sondern seitlich: Dadurch ist unterhalb der Verschlusselemente noch Platz für einen zweiten Schieber, der andere Verschlusselemente miteinander verbinden kann.
In diesem Schieberkasten passen in jedem Kanal ("trough") zwei Verbindungsschieber nebeneinander; Bauarten für größere Stellwerke erlauben drei oder sogar fünf Schieber nebeneinander. Schon in diesem kleinen Frame tritt der Fall auf, dass ein Tappet (nämlich das in der Mitte) von drei Verschlusselementen verschlossen werden soll – weil aber je Schieberkasten nur zwei Elemente pro Tappet möglich sind (eines links, eines rechts), ist hier ein weiterer Kanal nötig:
Natürlich kann ein Hebel auch mehrere andere Hebel verschließen. Typische Beispiele dafür sind Signalhebel, die alle Weichen und Riegel in der dazugehörigen Fahrstraße festlegen müssen. In dem kleinen Frame hier verschließt der links-äußerste Hebel drei andere: Wenn dieser Hebel umgelegt wird, dann verschließt das Verschlusselement an seinem Verschlusseisen (rot gekennzeichnet)
- ... direkt über das weiß markierte Element Hebel daneben;
- ... über die Nase im roten Bereich mit Hilfe des Verbindungsschiebers ...
- ... die beiden gelb markierten Verschlusselemente, die die beiden rechten Hebel verschließen.
Das nächste Bild zeigt die Situation, wenn der Hebel tatsächlich umgelegt worden ist:
- Das Verschlusseisen (Tappet) (1) ...
- ... hat das Verschlusselement (2) ...
- ... nach rechts verschoben, sodass dieses das danebenliegende Element (3) in den Ausschnitt des Verschlusseisens des Nachbarhebels geschoben hat, der dadurch verschlossen ist.
- Außerdem hat das Element (2) die Nase (4) nach rechts verschoben und damit den Verbindungsschieber (5).
- Dessen Nase (6) hat wiederum das Verschlusselement (7) in den Ausschnitt des Verschlusseisens (8) geschoben, was den dazugehörigen Hebel festlegt.
- Und zuletzt hat die Nase (9) das Verschlusselement .......
Die letzten paar Bilder zeigen, dass der rechts-äußerste Hebel doppelt verschlossen wird:
Hier ist ein Bild des gesamten Stellwerks ...
... und hier ein Diagramm der zwei "Verschluss-Abhängigkeitsketten", die beim zweiten Verschlusseisen beginnen und über zwei Verbindungsschieber das rechts-äußerste Verschlusseisen doppelt festlegen:
Das war nun keinesfalls die "hohe Schule" von "Tappet Locking" – da gibt es noch ganz andere, viel trickreichere Konstruktionen; und natürlich stellt sich die Frage, wie man so einen Frame projektiert. Wer an solchen Themen interessiert ist, kann sich ja einmal die Seiten 270 bis 300 des Buches Railway Signal Engineering (Mechanical) von Leonard P. Lewis aus dem Jahr 1912 vornehmen. Damit kann man schon einmal ein paar Wochenenden verbringen, wenn man's genauer verstehen will.
Und das waren nun alle Bilder von unserem "englischen Stellwerksurlaub 2013"!
Update September 2014: Praktisch brandaktuelle Unterlagen zu mechanischen Weichen findet man im Dokument MECHANICALLY OPERATED POINTS der IRSE vom März 2013.
Hallo Harald,
AntwortenLöscheneine Frage zu den Blockeinrichtungen :Sind die Signalhebel abhängig von den Apparaten oder frei bedienbar?Die SNCF hat(te) auf mechanischen das gleiche Prinzip von Abhängigkeiten,auf deutsch würde man Folgeabhängigkeiten sagen.Ich habe mal einen Plan eines mittelgroßen Stw besessen,doch richtig durchgeblickt habe ich das nicht.Was ist übrigens der Vorteil des englischen Systemes gegenüber dem deutschen bzw. österreichischen System?
Und nochmal von mir ein dickes Kompliment und herzlichen Dank für Deinen Stellwerks-Blogg.
Gruß
Christian
In der Anfangszeit und auf Nebenstrecken waren die Hebel frei bedienbar, aber sehr bald wurden Hebelsperren eingebaut, die das Bedienen des Signalhebels vom Zustand des Blockinstruments abhängig machten. Solche Hebel sind mit einem weißen Streifen gekennzeichnet - eine "Erklärung" in einem Satz steht im Posting über die Ketton signal box (http://stellwerke.blogspot.de/2014/02/ketton-signal-box-2013.html), aber auch in St.Albans (http://stellwerke.blogspot.com/2014/01/das-museumsstellwerk-in-stalbans-2013.html) sieht man eine Reihe solcher Hebel.
Löschen"Vorteile und Nachteile" - mhm: Das sieht natürlich jede "Seite" anders - sonst hätte man ja das jeweils andere Prinzip übernommen. Es gibt halt viele verschiedene Lösungen für ein Problem; und wenn die Infrastruktur (von der Ausbildung und "Denkweise der Ingenieure" über die Ersatzteile über die Betriebsvorschriften usw. auf ein Verfahren - hier "Kaskadenlogik" vs. "Fahrstraßenprinzip" - "eingeschossen" sind, dann lässt sich das kaum noch ändern, wenn sich nicht was Prinzipielles ändert (das ist dann mit den Relais-Stellwerken passiert: Da konnte dann "plötzlich" Integra Spurplanstellwerke liefern - die allerdings wegen der gesicherten Verschubfahrstraßen sich schon sehr wie englische mechanische Stellwerke "anfühlen").
Lies auf jeden Fall einmal den Abschnitt 1.3.5 (ab S.18) von Jörn Pachls "Systemtechnik des Schienenverkehrs" - momentan online verfügbar hier: http://books.google.de/books?id=4U1DpvZUeQoC&printsec=frontcover.
Allein diese Unterschiede in Bezug auf Verantwortung und Betriebsstellenaufteilung erfordern schon, dass vieles anders ist (z.B. gibt es in England nicht das Konzept der "Bahnhofs" - die Gleise von einem Bahnhofskopf zum anderen werden wie Streckengleise behandelt [was man wiederum daran merkt, wo und welche Signale aufgestellt werden ... aber jetzt führt das grade zu weit ...]).
Vielleicht interessieren dich auch meine Anmerkungen zur Verwendung von Gleich- und Wechselstrom in Sicherungsanlagen in http://stellwerke.blogspot.de/2013/09/die-funktionsweise-des-osterreichischen_24.html.
Ein "Vorteil", wenn man so will, der englischen Stellwerkskonzeption ist jedenfalls, dass man praktisch immer eine Abhängigkeit der Signale von der Stellung der Weichen vorsah, auch für die "shunting signals". Und viel früher als bei uns und viel häufiger wurden Gleisstromkreise eingesetzt. Das führt zu der Frage, ob nicht englische Bahnhöfe "over-signalled" waren - die mechanische Signalisierung war schon so aufwendig, wie es bei uns erst mit den Spurplanstellwerken üblich wurde. Aber offenbar war das Geld dafür da ...