Freitag, 21. Dezember 2012

Fahrdienstleitung außerhalb des Bahnhofs: Brunn-Maria Enzersdorf, 1986

Die folgenden Aufnahmen sind vom Bahnhof Brunn-Maria Enzersdorf, den ich am Allerheiligenabend 1986 besucht habe und der eine etwas eigenartige Gleisanlage hatte. Der folgende Plan zeigt einige der Besonderheiten:
  • Das Bahnhofsgebäude und die Bahnsteige lagen außerhalb der Weichenstraßen.
  • Daher war auch das Ausfahrsignal R1-4 Richtung Wiener Neustadt erst hinter dem Bahnsteig, also hinter der letzten Weiche 56 aufgestellt. Als Ausfahrsignal stand es auch rechts vom Gleis.
  • Das Einfahrsignal Z aus Richtung Wiener Neustadt deckte die Weichenstraßen hinter dem Bahnsteig – es stand daher näher an der Weichenstraße als das Ausfahrsignal R1-4.
  • Im Bahnhofsgebäude befand sich auch die Fahrdienstleitung, die also außerhalb des Stellwerks 2 lag.
  • Am anderen Bahnhofsende war das Verschubsignal V4-B nicht am Hauptsignal H4 angeordnet, sondern stand als Zwergsignal ein Stück weiter Richtung Wien. Am Ausfahrsignal war – wie man auf einem Foto weiter unten sieht – ein "festes Verschub-frei-Signal" montiert.
  • In der Mitte des Bahnhofs gab es den Schrankenposten 30, der zugleich auch als Verschubstellwerk für die Weichen 31 bis 35 fungierte, die von seiner Hebelbank aus gestellt wurden. Allerdings war dieses Gebäude nicht als Stellwerk nummeriert, und es nahm auch nicht teil an der Fahrstraßenprüfung.
  • Was auf dem Plan nicht zu sehen ist: Da die Weichen 32 und 33 bei Zugfahrten auf Gleis 4 festgelegt sein mussten, wurden die Riegel dieser beiden Weichen vom Stellwerk 2 aus bedient!


Sehen wir uns nun die Details dieses Bahnhofs an.

Am Befehlswerk in der Fahrdienstleitung sieht man, dass für die Gleise 1 und 4 aus Richtung Wien sowohl lange ("L") als auch kurze ("K") Einfahrten gestellt werden konnten. Die kurzen Einfahrten endeten jeweils beim Schutzsignal, die langen führten bis zum Signal R1-4, sodass an diesen Fahrten beide Endstellwerke beteiligt waren. Am anderen Bahnhofskopf gab es Ausfahrten von
  • Gleis 4 (die am Schutzsignal Sch4 begann)
  • Gleis 1 lang (die am Schutzsignal Sch1 begann)
  • und Gleis 1 kurz (die am R1-4 begann).
An all diesen Fahrten war nur das Stellwerk 2 beteiligt:

Befehlswerk, Fdl, Brunn-Ma.Enzersdorf, 1.11.1986

Was die RWT am Blockaufsatz ist, ist mir nicht klar. Vermutlich gab es hier einen Gleiswechselbetrieb Richtung Liesing (Ein vorheriger Text hier über Mödling war falsch – ich hab, zu meiner Schande, Mödling und Liesing verwechselt.) Eine Anzeige der Richtung ist wohl nicht möglich – wahrscheinlich geht nur die weiße Lampe im Pfeil aus (oder es leuchtet die unbeschriftete Lampe unter dem schwarzen Rechteck?).
Die anderen Tasten sind schon älter und ausführlicher beschriftet – jeweils mit "Notauflöset." und "Gleisanzeigt.". In der Mitte befindet sich der Widerrufschlosskontakt:

Blockaufsatz des Befehlswerks, Fdl, Brunn-Ma.Enzersdorf, 1.11.1986

Nun begeben wir uns auf das Stellwerk 2. Hier sieht man ganze Anlage. Rechts ist noch ein Stück der Schalttafel für die Stromversorgung zu erkennen, und ganz links ein kleines Stück einer Schrankenkurbel. Die zwei linksäußersten Hebel sind übrigens die Riegelhebel für die Weichen 32 und 33, deren Stellhebel sich am Verschubstellwerk befinden:

Gleisanzeiger, Hebelbank und Blockapparat, Stw.2, Brunn-Ma.Enzersdorf, 1.11.1986

Am Blockapparat sieht man die Zustimmungsabgabefelder Richtung Stellwerk 1 für Fahrten auf Gleis 4 (linkes Za-Feld) und Gleis 1 (rechtes Za-Feld). Die sechs Felder rechts davon sind wie üblich bei einem Endstellwerk auf einer zweigleisigen Strecke mit ZG:

Blockapparat, Stw.2, Brunn-Ma.Enzersdorf, 1.11.1986

An Fahrstraßenknaggen gibt es einige mehr als sonst üblich: Obwohl dies das Endstellwerk Richtung Wiener Neustadt ist, gibt es zusätzliche Fahrstraßen für die Wiener Seite. Sie dienen natürlich dazu, dass die entsprechenden Weichen bei Zustimmungen an das Stellwerk 1 festgelegt werden:

Gleisanzeiger und Fahrstraßenknaggen, Stw.2, Brunn-Ma.Enzersdorf, 1.11.1986

Auf der Schalttafel für die Stromversorgung waren oben auch die Signalanzeigen untergebracht, die man hier bei einer Durchfahrt von Wien über das Gleis 1 sieht. Zur Information war auch die Stellung des Einfahrsignals A von Wien (unter dem a) angezeigt. Die zwei Schutzsignale waren hier noch als Sp1 und Sp4 beschriftet, was von der alten Bezeichnung "Sperrsignal" herrührt. Links ist eine WUT (Weckerunterbrechertaste) offenbar nachgerüstet worden. Was die vier Ein/Aus-Schalter schalten, weiß ich nicht – sicher nicht direkt die Signale!

Stromversorgung und Signalanzeige, Stw.2, Brunn-Ma.Enzersdorf, 1.11.1986

Und hier sieht man das wunderbar alte, allerdings mit einem Anbau versehene Stellwerk:

Stellwerk 2, Brunn-Ma.Enzersdorf, 1.11.1986

Die Weiche 56 war die äußerste Weiche des Bahnhofs. Ihr Doppeldrahtzug schleift schon ziemlich knapp über das Gehäuse, in dem sich wohl die Umlenkrollen des Drahtzugs zur Weiche 55 befinden:

Weiche 56, Brunn-Ma.Enzersdorf, 1.11.1986

Direkt neben dem Stellwerk 2 befand sich ein Schranken, der hier gerade gesenkt wird:

Schranken, Brunn-Ma.Enzersdorf, 1.11.1986

Und hier kommt der Zug dazu:

1042.687 mit Personenzug, Brunn-Ma.Enzersdorf, 1.11.1986

Die Schutzweiche 2S habe ich schon in diesem Posting über Weichenstellgewichte beschrieben. Offenbar war die Anschlussbahn stillgelegt, daher die radikale Verschraubung des Gewichts am Weichenstellbock:

Weiche 2S, Brunn-Ma.Enzersdorf, 1.11.1986

Weiche 2S, Brunn-Ma.Enzersdorf, 1.11.1986

Weiche 2S, Brunn-Ma.Enzersdorf, 1.11.1986

Zwischen den zwei Endstellwerken befand sich der Schrankenposten 30, der zugleich auch für einige Weichen Verschubstellwerk war. Hier sieht man das kleine Gebäude bei der Durchfahrt eines Schnellzuges. Links sind die zwei Weichen 32 und 33 sichtbar, die von dort gestellt wurden:

4010.012, Brunn-Ma.Enzersdorf, 1.11.1986

Kurz nach der Durchfahrt hat sich der Schranken wieder gehoben:

Verschubstw. und Schrankenposten 30, Brunn-Ma.Enzersdorf, 1.11.1986

Im Innern des Postens befanden sich zwei Schrankenkurbeln. Ich riskiere einmal die Vermutung, das jeder der beiden Schrankenbäume eine eigene Kurbel hatte, weil auf der relativ stark befahrenen, über vier Gleise führenden Straße ein getrenntes Schließen immer wieder nötig war:

Verschubstw. und Schrankenposten, Brunn-Ma.Enzersdorf, 1.11.1986

Hier sieht man die vier Weichenhebel des Verschubstellwerks. Wie oben gezeigt, werden die Weichen 32 und 33 vom Stellwerk 2 aus geriegelt:

Weichenhebel im Verschubstw. und Schrankenposten, Brunn-Ma.Enzersdorf, 1.11.1986

Hier ist noch einmal die Weiche 32 und davor das Schutzsignal Sch4 zu sehen. Es scheint rechts mit einem Ersatzsignal versehen worden zu sein – leider habe ich das entsprechende Stellpult nicht aufgenommen. Exakt dieselbe Perspektive habe ich übrigens 1981 aufgenommen. Damals hieß das Signal allerdings noch Sp4, und das Ersatzsignal fehlte auch noch:

Weiche 32 und Schutzsignal Sch4, Verschubstellwerk/Schrankenposten, Brunn-Ma.Enzersdorf, 1.11.1986

Die Ausfahrsignale auf der Wiener Seite waren ein interessantes Sammelsurium:
  • Ganz rechts steht schon ein neues Signal H1 für Ausfahrten aus dem Gleis 1.
  • Für das H2 am Gleis 2 war ein Signalausleger erforderlich, weil zwischen den Gleisen nicht genügend Abstand war.
  • Ganz links schließlich hatte das H4 eine fest angebrachte Verschub-Frei-Tafel; ein Stück dahinter sieht man das Verschub-Zwergignal V4-B.
Interessant ist auch noch, dass (ein Stück weit im Hintergrund) die Weichenantriebe aller Weichen in den zwei Hauptgleisen rechts neben dem Gleis 1 angeordnet sind, sodass die Weichen im Gleis 2 über lange Antriebsstangen gestellt werden müssen. Der Grund dafür ist wahrscheinlich auch der geringe Gleisabstand der zwei durchgehenden Gleise:

Ausfahrsignale H4, H2 und H1, Stellwerk 1, Brunn-Ma.Enzersdorf, 1.11.1986

Hier sieht man noch einmal zwei der Ausfahrsignale bei der Einfahrt der Schnellbahn, die am vorigen Foto im Hintergrund zu erkennen ist. In der Zwischenzeit ist das Einfahrsignal von Mödling auf Frei mit 40 gegangen, und das Vorsignal hier zeigt die entsprechende Vorankündigung:

Ausfahrsignale H4, H2 und H1, Brunn-Ma.Enzersdorf, 1.11.1986

Auch das Stellwerk 1 war noch fast original erhalten:

Stellwerk 1, Brunn-Ma.Enzersdorf, 1.11.1986

Der Blockapparat ist "wie erwartet": Links wieder die üblichen sechs Felder für eine zweigleisige Strecke (das linke Be-Feld ist entblockt, oben am ZG sieht man schon den belegten Blockabschnitt von Wien), daneben die beiden Zustimmungsempfangsfelder für Fahrten auf Gleis 4 und Gleis 1. Einige Anzeigelampen helfen den beiden Stellwerkern bei Abgabe und Auflösung der Zustimmungen:

Blockapparat, Signalanzeige und -bedienung, Stw.1, Brunn-Ma.Enzersdorf, 1.11.1986

Hier sieht man noch einmal die Stellwerksanlage. Die Knagge ganz links für das Einfahrsignal A ist schon umgelegt, das Signal steht aber noch auf Halt. Der Grund ist wohl, dass die Zustimmung vom Stellwerk 2 noch fehlt:

Hebelbank und Blockapparat, Stw.1, Brunn-Ma.Enzersdorf, 1.11.1986

Sehr unüblich war die Bedienung von Ersatzsignalen vom Stellwerk aus. Ein Grund dafür könnte sein, dass der Fahrdienstleiter bei der Gleisfreiprüfung durch Augenschein im Gegensatz zu den Stellwerken sowieso nicht mitwirken konnte, da die Fahrdienstleitung ja praktisch außerhalb des Bahnhofsbereichs lag:

Ersatzsignalbedienung, Stw.1, Brunn-Ma.Enzersdorf, 1.11.1986

Hier sieht man, leider unscharf, die Signalanzeige über dem Blockapparat im Detail. Das Einfahrsignal steht noch immer auf Halt (oder eher schon wieder?), allerdings leuchtet nun unten die Lampe "Zs von Wien", und oben drüber eine Lampe "1L von Wien": Das Stellwerk 1 wirkt nun also über die Zustimmungen mit an der Zugfahrt:

Signalanzeige, Stw.1, Brunn-Ma.Enzersdorf, 1.11.1986

Auf der Hebelbank ist die Knagge für das Einfahrsignal A nun zurückgelegt, die Fahrstraße ist aber noch festgelegt:

Fahrstraßen- und Signalknaggen, Schrankenantrieb, Stw.1, Brunn-Ma.Enzersdorf, 1.11.1986

Am Stellwerk befand sich auch der Antrieb für den einen Schranken in der Mitte des Bahnhofs, der von diesem Stellwerk aus bedient wurde:

Schrankenantrieb, Stw.1, Brunn-Ma.Enzersdorf, 1.11.1986

3-Phasen-Spannungsüberwachung des Schrankenantriebs, Stw.1, Brunn-Ma.Enzersdorf, 1.11.1986

Beim Rückmarsch zum Bahnhof ist mir wieder einmal ein alter Isolierstoß mit Holzlasche begegnet:

Isolierstoß mit Hartholzlasche, Brunn-Ma.Enzersdorf, 1.11.1986

Auf diesem Bild des Bahnhofs sieht man im Hintergrund das allein stehende Ausfahrsignal R1-4:

Bahnhof, Brunn-Ma.Enzersdorf, 1.11.1986

Von der gegenüberliegenden Seite habe ich die Durchfahrt eines weiteren 4010 aufgenommen (und dabei sowohl diesen als auch das Bahnsteig-Gebäude abgeschnitten ...):

6010.015, Brunn-Ma.Enzersdorf, 1.11.1986

Zuletzt noch eine Aufnahme, die die im Herbst besonders triste Stimmung auf diesen Vorortbahnhöfen gut wiedergibt:

Bahnhof, Brunn-Ma.Enzersdorf, 1.11.1986

5 Kommentare:

  1. War der Schrankenmotor im Stellwerk 1 für den im bild abgebildeten schließenden Doppelschranken? Diese Schranken gingen offensichtlich nicht gleichzeitig zu. War es möglich, dass die Schranken von einem Antrieb aus gesteuert wurden?

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    1. Das ist eine sehr gute Frage, die ich mir selber auch schon gestellt habe ...

      Prinzipiell ist es mit einem Kleeblattantrieb ja schon möglich, einen Schrankenbaum verzögert zu schließen = wenn die Antriebsscheibe sich zu drehen beginnt, nimmt sie die "Baumscheibe" nicht sofort mit, sondern nach einer beliebigen Zeit. Technisch verwendet der Kleeblattantrieb i.w. ein Malteserkreuz (das aussieht wie ein dreiblättriges Kleeblatt), das erst in der einer bestimmten Stellung die Antriebskettenschreibe an die Scheibe kuppelt, die den Baum bewegt.

      Normalerweise dient diese Verzögerung des Baumschließens nur dazu, dass ein Läutewerk längere Zeit bimmelt, bevor der Baum runtergeht (die VD=Vorläutedauer von i.d.R. 20 oder 30 oder 35 Sekunden). Ein Beispiel dafür sieht man auf dem Video in diesem Posting.

      Und wenn man sich die beiden Antriebe auf dem Foto ansieht, dann sieht man bei beiden eine breite Blechabdeckung über den Kettenschreiben: Daher befinden sich darunter auch jeweils zwei Kettenschreiben, also jeweils ein Kleeblattantrieb.

      Aber hier sehen wir gar keine Vorläutewerke auf den Antrieben! Damit kann der Sinn dieser Antriebe eigentlich wirklich nur sein, dass sich die Bäume mit verschiedenen Verzögerungen schließen!

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    2. Noch eine Anmerkung: Der doppelschlägige Schranken (auf dem 9. Foto) ist beim Stellwerk 2 (nicht beim Stellwerk 1). Er wurde von dort m.W. mit einer Handkurbel bedient, von der man am dritten Foto links ein Stück erkennt.

      Der Motor am Stellwerk 1 war für den Schranken, den ich im Gleisplan nahe bei den Ausfahrsignalen H gezeichnet habe.

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  2. Wieder einmal sehr interessante Fotos und viel informativer Text. Was mir aber auffällt: Meiner Meinung nach war die RWT am Befehlswerk ohne Funktion, vielleicht wurde sie nur schon für einen bevorstehenden Umbau auf Gleiswechselbetrieb angebracht. Denn die Richtungspfeile sind definitiv nur für eine Fahrtrichtung vorhanden. Außerdem fehlt auf der Liesinger Seite das Es "B" (was allerdings mit Gleiswechselbetrieb ja nur bedingt etwas zu tun hat). Interessant fand ich auch,dass das AS "H1" aufgestellt, aber am Stellpult des Stw1 nicht vorhanden war.

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    1. Das AS "H1" ist wahrlich etwas besonderes. Zum einen weil es eine Mischform aus 2 Bauarten ist (der Mast ist eindeutig von der alten Bauform, aber der Schirm des HS ist eideutig Bauart 1980). Außerdem gibt es keine Anzeige- oder Biedenugseinrichtung für dieses Signal. Wie von Leo bereits angemerkt feht es am Stellpult des Stw1 und ich habe auch keine Möglichkeit zum Einschalten eines Ersatzsignals gefunden. Ausfahrsignale mit Dauerrot gab es öfters aber meist konnte man irgedwie ein Ersatzsignal stellen und es war auch eine Anzeige zur Überwachung der Funkion des Rotlichts vorhanden. Sehr rätselhaft das Ganze.

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